: Der Schmutz der Anderen
Das Leben von unterm Bett aus: Markus Orths’ „Zimmermädchen“
Von Menschen, die unter Putzzwang leiden, glaubt man üblicherweise, Schmutz müsse für sie schier unerträglich sein. Nicht so bei Lynn Zapatek. Für sie besteht das Schöne am Putzen gerade darin, dass „es immer wieder dreckig wird“. Nach einem halben Jahr in einer psychiatrischen Einrichtung ist sie darum bemüht, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Ihr neuer Job als Zimmermädchen im Hotel Eden kommt ihr dabei bestens zupass, denn wo ließe sich besser durch rituelle Wiederholung Ordnung schaffen als hier?
Lynn ist zudem eine begnadete Putzerin, die noch dort Schmutz wahrnimmt, wo andere Zimmermädchen längst weitergezogen sind. Mit fast kindlicher Freude rückt sie Staub, Ascheresten und Urinstein zu Leibe und taucht ein in die Welt der Dinge, die Gäste gewöhnlich in Hotelzimmern herumliegen lassen. Da wird dann schon mal ein fremder Pyjama oder ein Kleidchen anprobiert, doch ihre wahre Berufung findet Lynn erst, als sie eines Tages unters Bett flüchten muss, um nicht von einem Gast entdeckt zu werden. Fortan liegt sie jeden Dienstag unter einem der Hotelbetten, lauscht dem Treiben des Zimmerbewohners oder auch nur der Stille, ehe sie am nächsten Morgen unbemerkt wieder verschwindet.
Bei alldem geht es ihr jedoch nicht um irgendwelche voyeuristische Befriedigung. Ihre unsichtbare Präsenz verschafft ihr vielmehr eine innere „Leere“, die sie beherzt anfüllt: Aus dem Gehörten formt sie Bilder, aus den Dingen fantasiert sie sich Geschichten über die Zimmerbewohner zusammen, von den Füßen mitsamt eingewachsenen Zehennägeln versucht sie auf das Wesen der dazugehörigen Menschen zu schließen. Lynns Versuch, sich die Welt zu ordnen, verläuft gleichsam induktiv: Sie fängt im Wortsinne ganz unten bei den „Kleinigkeiten“ an und erzeugt daraus mithilfe der Einbildungskraft ihre ureigene Wirklichkeit, die nur ihr ganz allein gehört.
Markus Orths erhielt für einen Auszug aus dem Roman beim diesjährigen Bachmannwettbewerb in Klagenfurt den Telekom-Austria-Preis (und fiel überdies dadurch positiv auf, dass er sich dem albernen Videoporträt der eigenen Person verweigerte). In der Tat ist bewundernswert, mit welcher Beiläufigkeit der Autor es schafft, Lynns Zwanghaftigkeit, ihr von Ritual und Repetition geprägtes Leben, ihr fast suchtartiges Verlangen nach der Nähe zu fremdem Leben plausibel, ja notwendig erscheinen zu lassen.
Die begrenzte Perspektive der unterm Bett Liegenden ist auch für den Leser schon bald interessanter als das „Vollbild“, das Vorgestellte lebendiger als das Wirkliche. Am Ende jedoch geht es dem Autor ähnlich wie seiner Protagonistin: Er „verheddert sich im Geflecht der Möglichkeiten“, und was als ebenso eindringliche wie originelle Erzählung begonnen hat, verliert sich in dem krampfhaften Bemühen, Lynns Suche nach dem eigenen Ich in die verschiedensten Richtungen auszuwalzen und zu psychologisieren.
Ihre Treffen mit der Prostituierten Chiara, die Besuche bei der Mutter, Lynns Versuch, eine Ehefrau wissen zu lassen, was ihr untreuer Ehemann im Hotelbett so alles treibt – all das zehrt und zerrt am Kern dieser Geschichte, die sich förmlich sträubt, zum Roman zu werden. Als Lynns neue Weltordnung ins Rutschen gerät, als sie selbst ihre Routine sprengt und der Sehnsucht nach dem großen Ganzen erliegt, verliert auch Orths’ Erzählung an Intensität und Stringenz. Das kann man für eine gelungene Entsprechung von Form und Inhalt halten. Vielleicht wäre aber einfach nur weniger mehr gewesen.
ANDREAS WIRTHENSOHN
Markus Orths: „Das Zimmermädchen“. Schöffling & Co., Frankfurt a. M. 2008, 138 Seiten, 16,90 Euro