: Ein Star ohne Allüren ist keiner
In leichtem Plauderton vorgetragen, hübsch raffiniert zwischen allen Genres tänzelnd und sprachlich zu Hause auf der Grenze zwischen dem Deutschen und dem Französischen: Françoise Cactus’ Erzählband „Neurosen zum Valentinstag“
So knapp ihre Formulierungen sein mögen, so stakkatohaft ihre Feststellungen aneinander gereiht sind, so schnell ihre Geschichten mit diesem abgehackten Rhythmus auf den Punkt kommen – Françoise Cactus’ „Neurosen zum Valentinstag“ haben doch etwas Fließendes, Unscharfes, Verschwommenes. Das Paradoxe daran ist nur, dass es gerade diese Unschärfe zu sein scheint, die Cactus’ zwölf Geschichten umso präziser werden lässt.
Das Genre der klassischen Kurzgeschichte zerfasert in „Neurosen zum Valentinstag“, dem inzwischen schon vierten Buch von Françoise Cactus, nur allzu oft in etwas, das man nicht mehr so genau benennen kann: Françoise Cactus macht eine Erzählung schon mal zum „Film noir“, und zwar wirklich zum Film, nicht bloß zu seinem Drehbuch.
Kanonische Literatur spinnt sie weiter wie in dem Brief von Mademoiselle Bovary an ihren Geliebten, der fatalerweise den gleichen Namen trägt wie seinerzeit der Geliebte ihrer Mutter Emma. Und den slapstickartigen Dialog einer alternden Diva mit ihrem Friseur mischt sie mit bitterbösen Phrasen aus den dort ausliegenden Klatschmagazinen einerseits und dem ebenso bösen inneren Monolog der lesenden Diva andererseits.
Die Geschichten, die Françoise Cactus in ihrem leichten Plauderton erzählt, bewegen sich auf diese Weise auf der Grenze zwischen den Genres, tänzeln dort leise auf und ab und sind außerdem noch so raffiniert konstruiert, dass nicht selten eine Geschichte Versatzstücke aus einer anderen aufgreift und sie ironisch zitiert, ohne mit der Wimper zu zucken – und wenn es nur die beliebte Friseursweisheit ist, dass ein Star ohne Allüren keiner ist.
So wie die Geschichten von ihrem Schwanken zwischen den Genres profitieren, weil sie dadurch alte Gefühle und Ereignisse neu erzählen können, so gewinnt auch ihre Sprache durch ihren Balanceakt auf der Grenze zwischen dem Deutschen und dem Französischen einen beinahe unerschöpflichen Vorrat an neuen Ausdrucksmöglichkeiten und Bildern. Dabei kann ein duftendes Geißblatt zwar schon mal zum Ziegenblatt werden, wie es die wörtliche Übersetzung des französischen chèvrefeuille nahe legt; es kann in einem Zimmer auch schon mal aussehen wie auf dem Basar – so wie es das in Frankreich eben tut, wenn es unordentlich ist.
Andererseits haben deutsche Schimpfkanonaden niemals unverbrauchter und authentischer geklungen als bei Cactus’ eifersüchtiger Heldin Julie, deren Wörterbuch der deutschen Flüche von „Armeematratzen“ über „Filzläuse“ und „kriminelle Ochsen“ bis hin zu „Schattenboxern“ reicht. Deren Tiraden stellt man sich übrigens am liebsten mit einem leichten französischen Akzent gebrüllt vor – einem Akzent, wie ihn etwa Françoise Cactus hat, wenn sie ihre Texte für die Electropop-Band Stereo Total singt, Songs wie „Partir ou mourir“; „Ich liebe dich Alexander“ oder „Wir tanzen im 4 Eck“. Die Heldinnen der „Neurosen zum Valentinstag“ sind alle nichts Besonderes: Die eifersüchtige Julie, die gelangweilte Berthe Bovary, die abergläubische Germaine, die glücklich verwitwete Rose – sie alle sehen weder besonders hervorragend aus, noch erleben sie besonders hervorragende Dinge, noch sind ihre Gedanken über die Dinge außergewöhnlich.
Aber die Prägnanz, mit der sie die Dinge beschreiben, die ihnen dann doch widerfahren, und vor allem die Konsequenz, mit der sie sie schließlich zu Ende bringen – die sind bemerkenswert und machen die „Neurosen zum Valentinstag“ zu einem sehr exzentrischen und auch sehr amüsanten Buch. ANNE KRAUME
Françoise Cactus: „Neurosen zum Valentinstag. Erzählungen“. Rowohlt Berlin, Berlin 2004, 128 Seiten, 14,90 €