: „Die Nato wird noch sehr lange im Kosovo bleiben müssen“, sagt Stefan Dehnert
Die Kosovo-Albaner fordern die Unabhängigkeit von Belgrad – doch derzeit würde dies zu noch mehr Gewalt führen
taz: Im Kosovo gab es in der letzten Woche wieder Kämpfe zwischen Serben und Kosovo-Albanern. Zeigt dies, dass die Nato-Intervention von 1999 im Kosovo ein Fehler war?
Stefan Dehnert: Damals schien eine Intervention die einzige Möglichkeit zu sein, um die Gewalt gegen die Albaner im Kosovo zu beenden. Ob nicht doch eine Verhandlungslösung möglich gewesen wäre, ist bis heute umstritten. Zweifellos hat die öffentliche Meinung in Westeuropa und den Vereinigten Staaten 1999 die albanische Bevölkerung als einziges Opfer der Auseinandersetzung gesehen und den anschließenden Vertreibungen der Serben und anderer Minderheiten weniger Aufmerksamkeit geschenkt.
Beweist der jüngste Gewaltausbruch, dass die Nato-Intervention ihr Ziel verfehlt hat?
Die Unruhen der vergangenen Woche zeigen vor allem, dass eine internationale Präsenz damals wie heute notwendig ist, um Kosovo nicht zum Ort weiterer ethnischer Vertreibungen werden zu lassen. Nur internationale Polizei und KFOR konnten eine weitere Eskalation verhindern. Bedauerlich bleibt, dass der Tod von Menschen und die Vertreibung von etwa 3.600 Serben aus ihren Häusern und Kirchen nicht verhindert werden konnte.
Sie kümmern sich im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung um den albanisch-serbischen Dialog. Ist angesichts der Eskalation der Gewalt ein Dialog überhaupt noch möglich?
Direkte Kontakte zwischen Belgrad und Priština konnten wir erstmals im Oktober 2003 realisieren. Dabei traf erstmalig seit dem Krieg eine Journalistendelegation aus Serbien mit albanischen Kollegen aus dem Kosovo zusammen. Da dies zudem das erste albanisch-serbische Treffen war, das im Kosovo selbst stattfand, war die Aufmerksamkeit vor Ort entsprechend groß. Ein für November geplanter Gegenbesuch kam wegen Bedenken der kosovoalbanischen Seite leider nicht zustande.
Und wie geht es nun, nach der Gewalt der letzten Woche, weiter?
Schwer zu sagen. Für 2004 war eine Ausweitung des Dialogprogramms geplant. Inwieweit sich dies nun noch verwirklichen lassen wird, hängt ganz von der Bereitschaft beider Seiten ab, das aktuelle Geschehen eher als Aufforderung zu einem intensiveren Dialog zu verstehen denn als Entmutigung.
Wer auf albanischer bzw. serbischer Seite will einen Dialog – und wer verweigert sich?
Dialogbereitschaft findet sich weniger bei Gruppen als bei einzelnen Persönlichkeiten, die den Mut und die Unabhängigkeit aufbringen, sich über das Diktat der totalen Abgrenzung hinwegzusetzen. Man könnte sagen: Je aktiver eine Person in der Politik ist, desto zögerlicher ist sie bezüglich des Dialoges. Insgesamt zeigt Serbien ein größeres Interesse. Die politische Klasse im Kosovo dagegen wittert hinter dem Dialog eine Strategie zur Verhinderung oder zumindest Verzögerung der ersehnten Unabhängigkeit.
Was muss jetzt geschehen, um schnell eine Befriedung des Kosovo zu erreichen?
Von zentraler Bedeutung ist eine rasche Verbesserung der wirtschaftlichen Perspektiven. Bei einer offiziellen Arbeitslosenrate von siebzig Prozent und auch sonst nicht gerade rosigen Aussichten ist das Maß der Frustration gerade der jungen Generation verständlicherweise sehr groß. Daneben ist aber auch entscheidend, wieder zu mehr Kooperationsbereitschaft zwischen internationaler Verwaltung und den lokalen politischen Kräften zurückzukehren und im Wahlkampf nicht Stimmung gegen die UN-Mission zu machen. Es hilft keiner Seite, wenn man für vermeintliche Entwicklungsverzögerungen jeweils die Gegenseite verantwortlich macht.
Die Kosovo-Albaner fordern die Unabhängigkeit von Serbien, manche auch den Abzug der internationalen Gemeinschaft. Ist das kurzfristig möglich – und sinnvoll?
Nein. Ich halte es für geradezu gefährlich für die Stabilität dort, wenn kosovoalbanische Politiker noch vor der Lösung der Statusfrage die UN-Verwaltung ultimativ zum Abzug auffordern. Das Gleiche gilt für die Forderung albanischer Parteiführer nach der sofortigen Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo – die angeblich Unruhen wie in der vergangenen Woche beenden könnte. Das wäre der falsche Weg. Damit würden nicht nur die Gewalt von Extremisten und Versuche ethnischer Säuberung belohnt – dies würde auch den Extremismus der Gegenseite stärken. Der Stabilität in der Region – vor allem in Südserbien und Mazedonien – wäre damit jedenfalls nicht gedient.
Und später? Wäre die Unabhängigkeit eine Lösung aus der verfahrenen Lage?
Es ist schwer zu prognostizieren, wie die endgültige Lösung aussehen wird – ob es eine Unabhängigkeit oder eine weitreichende Autonomie geben wird. Sicher ist aber, dass die ethnischen Spannungen auch damit nicht von einem Tag auf den anderen verschwinden. Die Nato wird deshalb auch nach einer Lösung im Kosovo bleiben müssen, vielleicht bis zu einer Integration des gesamten Balkans in die EU. Es ist zu hoffen, dass bis dahin beide Seiten sich der Möglichkeit eines Kompromisses nicht verschließen.
INTERVIEW: RÜDIGER ROSSIG