Muße nach Plan

Die Zukunft der Arbeit (Teil 2): Nichts tun ist nicht langweilig, sondern mit viel Aufwand verbunden. Notizen aus dem Leben eines frohen Taugenichts

Gibt es eine Zukunft der Arbeit? Muss es überhaupt eine Zukunft der Arbeit geben? Und was bedeutet Arbeit eigentlich? Die nächsten Folgen unserer Serie zum Thema handeln vom steinigen Weg zurück zur Uni, den Klassenunterschieden innerhalb der arbeitslosen Boheme und von Mode, in der man nicht arbeiten kann

von ANDREAS BECKER

„Was willst du denn mal werden?“, wurde man als Kind ja manchmal gefragt. Bei mir gingen die meisten automatisch davon aus, ich wolle Ingenieur werden, da ich unseren Garten jahrelang mit kleinen, ziemlich perfekten Stahlbetonbrücken bebaute. Wenn ich wieder eine Holzverschalung fertig hatte, sagte ich nach dem Mittagessen, ich muss jetzt raus, arbeiten. Dann mischte ich den Beton aus geklautem Sand, Kies und Zement an. Als mir die Fragerei nach der Zukunftsplanung zu blöd wurde, nahm ich von der Autobahnbaustelle, die ich jeden Tag nach der Grundschule beobachtete, ein Blechschild mit, nagelte es an eine Pappel neben meiner neuesten Hochstraße: „Betreten der Baustelle verboten. Eltern haften für ihre Kinder“. Wenn nun einer fragte, brauchte ich nur auf das Schild zu zeigen.

Später, vorm Abi, ging die Fragerei wieder los. Dann sagte ich: Ich will nichts werden. Dann guckten die Leute geschockt oder lachten. Noch heute ist es toll, zum Beispiel im Freibad auf die Frage, was man denn sonst so mache, zu antworten: nichts.

Nichts zu tun aber ist mit einer Menge Aufwand verbunden. Man muss sich den Tag ganz genau einteilen. Muss ein straffes Zeitmanagement einhalten, das nach außen so wirkt, als habe man immer Zeit und Muße für Freunde, aber nie Zeit zu arbeiten. Während man scheinbar untätig den Tag aussitzt, entwickelt man Projekte in der Fantasie, macht Termine aus, verspricht die irrsten Sachen, erbettelt im letzten Moment einen Platz auf der Gästeliste eines Konzerts und geht dann gar nicht hin. Oder man bucht umständlich einen Billigflug und tritt ihn nicht an.

Gleichzeitig ist man jeden Moment bereit, jeden Beruf der Welt auszuüben – wenn einen nur einer fragt. Man weiß, dass man die dümmsten Entscheidungen deutscher Manager nie getroffen hätte. Als Ron Sommer hätte man nie die UMTS-Lizenzen gekauft, als Kirch sowieso alles anders gemacht, als Daimler-Chef natürlich niemals Chrysler geschluckt. Mehdorns Preisschwachsinn hätte man sich in einem einzigen Tag völlig anders ausgedacht. Alle würden fröhlich Bahn fahren, die Autofahrer wären die Doofen. Milliarden hätte man so überall eingespart, Profite gemacht, die deutsche Wirtschaft würde blühen, man selbst wäre Multimillionär. Aber was soll’s.

Morgens im Frühstücks-TV servieren sie die Katastrophen, die man hat kommen sehen. Dazu trinkt man den ersten Milchkaffee im Bett. Überhaupt saugt man den ganzen Tag Informationen ein, sieht den Börsenbericht ohne Ton, hört gleichzeitig Gun Club und liest Zeitung. Gerade als Nichtstuer muss man immer bereit sein. Wenn man auf dem Stromkasten vor der Bäckerei seinen zweiten Kaffee getrunken hat, besucht man seinen Lieblingsgriechen, diskutiert die neuesten Entwicklungen im Kiez, spricht über die Speisekarte. Mein Einfluss reicht sogar schon bis in die Preisgestaltung.

Es passiert immer irgendwas. Man muss nur alles in Ruhe beobachten, vor allem die Letzten, die noch arbeiten. So kam es letzte Woche bei Erneuerung der Gasleitungen vorm Restaurant fast zu einer Riesenexplosion, sogar die Arbeiter rannten schon weg. Gut, dass der kettenrauchende Hausmeister verschlafen hatte. Kaum später fuhr ein Krankenwagen mit Blaulicht vorbei, bei dem sich durch die Huckel der Verkehrsberuhigung hinten die Tür öffnete, wodurch wir plötzlich den Verletzten im Wagen sehen konnten.

Nach solcher Aufregung setzt man sich aufs Rad, fährt ’ne Runde. Im Winter bei schlechtem Wetter nur bis zum Ostbahnhof. Dort schaut man auf die Anzeigentafel, kontrolliert, ob die Kneipe immer noch By Denni’s heißt und schnappt sich den nächstbesten ICE, der Richtung Zoo fährt. Eine Fahrkarte braucht man nicht, vor Zoo wird nicht kontrolliert. Am liebsten fahre ich dann gleich 1. Klasse, lese „Ihr Fahrplaner“ und ärgere mich schon mal, dass ich bestimmt mit Verspätung in Köln ankäme. Dann zuckelt der Zug schon am Alex vorbei, man schaut kurz ins Ägyptische Museum, sieht Menschen wie Ameisen die Reichstagskuppel hochlaufen und fragt sich, was der Kanzler wohl gerade so treibt. In dessen „Waschmaschine“ sitzen manchmal sogar welche auf dem Balkon rum. Vielleicht traurige Minister oder arbeitslose Dichter. Am Bahnhof Zoo rennen einen die Kofferträger fast um, wundern sich, dass hier einer die Reise beendet. Letztens stieg Elke Schmitter ein und setzte sich auf meinen Platz.

Am Ku’damm ist dann meist nicht viel los. Die Büros im Europacenter stehen weiter leer, man sieht Fitnessfrauen gegenüber der Gedächtniskirche hinterm Fenster hüpfen. Bei Nordsee kann man sich jetzt einen Becher Kaffee holen und langsam die viertelstündige Rückreise antreten. Schön ist es, um 15.31 den EC „Porta Bohemica“ nach Prag zu nehmen oder eine Stunde später den Berlin–Warszawa-Express, bei dem gehen zwar die Fenster leider nicht auf, aber man lernt manchmal junge Ukrainerinnen kennen, die noch knapp zwei Tage Fahrt vor sich haben.