: Eine tadellose Runde
Egal ob Bush- oder Clinton-Minister: Niemand hat sich wegen des 11. September etwas vorzuwerfen
AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK
Madeleine Albright gab sich bissig. Donald Rumsfeld reagierte kühl und spitz wie immer. Nur Richard Cohen zeigte Spuren nachdenklicher Selbstkritik. „Wir haben es versäumt, den heraufziehenden Sturm völlig zu begreifen“, sagte er.
Da saßen sie, ehemalige und amtierende Minister zweier US-Regierungen, verlasen vorgefertigte Statements, zuckten mit den Schultern und versuchten zu rechtfertigen, was sie gegen die drohende Terrorgefahr von al-Qaida unternommen hatten.
Im nüchternen Sitzungsraum 216 des US-Senats waren sie von der unabhängigen Untersuchungskommission zum 11. September in den Zeugenstand gerufen. Das Kreuzverhör wurde live im Fernsehen übertragen. Im Saal saßen Angehörige der Attentatsopfer und zeigten Fotos der Verstorbenen. „Wir müssen unsere Regierung haftbar machen“, sagte Carie Lemark, die ihre Mutter in den Trümmern des World Trade Centers verloren hatte. In der aufgeladenen Atmosphäre auf dem Kapitolshügel in Washington vermischten sich an diesem Tag Emotionen, Erinnerungen, der ernsthafte Versuch, Licht in das Versagen der US-Terroraufklärung zu bringen, und natürlich Wahlkampfeifer.
Die Vertreter der jeweiligen Regierung wuschen ihre Hände daher überwiegend in Unschuld, während sie den schwarzen Peter der Vorgänger- bzw. Nachfolgerregierung zuschoben. Verantwortung wollte keiner übernehmen, Fehler niemand eingestehen. Die Kommissionsmitglieder reagierten darauf sichtlich gereizt. Der Ausschussvorsitzende Thomas Kean warf den versammelten Herrschaften Pannen bei den Geheimdiensten und Einwanderungskontrollen vor. Die Anschläge hätten verhindert werden können, „wenn die Umstände anders gewesen wären“.
Bereits nach dem ersten Sitzungstag ist deutlich: Den USA war lange vor dem 11. September die von dem Terrornetzwerk al-Qaida ausgehende Gefahr bekannt. Bereits 1995 wussten die US-Geheimdienste von der Verbindung zwischen Ussama Bin Laden und dem Cheflogistiker der Attentate, Chalid Scheich Mohammed, und seit 1997 von der Existenz von al-Qaida. Bill Clinton wie George W. Bush versuchten vor dem 11. September die Terrororganisation vor allem mit diplomatischen und geheimdienstlichen Mitteln zu schwächen. Exaußenministerin Albright und der derzeitige Verteidigungsminister Rumsfeld räumten jedoch ein, dass es vor „9/11“ keine öffentliche Unterstützung für einen Militärschlag gegen al-Qaida und Afghanistan gegeben habe.
Mit gelegentlich übereinstimmenden Positionen war es aber gestern schon wieder vorbei. In der Nacht hatte Antiterrorpapst Richard Clark seinen von der Bush-Regierung gefürchteten Auftritt als Kronzeuge vor der Kommission. Clark hatte in den vergangenen Tagen die bislang vernichtendste Kritik an Bushs Antiterrorstrategie geübt. Der Präsident habe bislang im Kampf gegen den Terror „schrecklich“ versagt und den Terrorismus monatelang ignoriert, trompetete er bei der Veröffentlichung eines diese Woche erscheinenden Buchs. Darin wirft er der Bush-Regierung ferner vor, ihre Besessenheit vom Irak habe von dem eigentlichen Terrorkampf abgelenkt.
Clarks Angriff wiegt so schwer, weil er ein von allen Seiten respektierter Antiterrorspezialist und Republikaner ist, der Bush senior, Clinton und den amtierenden Präsidenten beriet, bevor er vergangenes Jahr seinen Dienst quittierte.
Das Weiße Haus reagierte umgehend mit einer Diffamierungskampagne und unterstellte Clark Geltungssucht. Doch langsam erreichen Zahl und Autorität der vom treuen Staatsdiener zum vehementen Widersacher Gewandelten eine kritische Masse. Vor Clark hatte im Januar Exfinanzminister Paul O’Neill für Wirbel gesorgt, als er aus dem Innenleben des Weißen Hauses plauderte und Wasser auf die Mühlen aller Kriegsgegner goss, indem er verkündete, die Entscheidung für den Irakkrieg sei lange vor dem 11. September gefallen. Der Untersuchungsausschuss dürfte auch so für George W. Bush im Wahlkampf noch unangenehm werden. Weitere Anhörungen sind bis zum Juni angesetzt. Der Abschlussbericht wird für Juli erwartet und reichlich Zündstoff geben – rechtzeitig zum Wahlparteitag der Demokraten.