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Archiv-Artikel

Kein Kompromiss, wenn’s um Wehrpflicht geht

„Wehrpflicht ist unabdingbar“, sagt Peter Struck und riskiert einen Koalitionskrach mit den Grünen, die eine Berufsarmee fordern

BERLIN taz ■ So deutlich hat ein Minister selten gezeigt, wie unwichtig er die Meinung des Koalitionspartners findet. Als Peter Struck (SPD) gestern gefragt wurde, was denn wohl die Grünen von seinen Vorstellungen zur Wehrpflicht dächten, teilte der Verteidigungsminister mit: Außenminister Joschka Fischer habe die abweichende Haltung seiner Partei im Kabinett „zu Protokoll gegeben“. Das ändere aber nichts an seiner Überzeugung, so Struck, dass die Wehrpflicht „unabdingbar bleibt“. So steht es auch in den verteidigungspolitischen Richtlinien – und so soll es die Regierung möglichst bald beschließen, wenn es nach Struck geht.

Dass die Grünen weiter die Abschaffung der Wehrpflicht fordern? Egal. Die SPD-Fraktion soll „noch vor der Sommerpause“ einen Beschluss zur Beibehaltung fassen, bis zum Herbst will Struck das Thema Wehrpflicht dann erledigt haben – in seinem Sinne. Eine gezielte Provokation, auf die Grünen-Chefin Angelika Beer ironisch reagierte: „Ich freue mich darüber“, sagte Beer der taz. „Jetzt liegt der Dissens klar auf dem Tisch.“ An der Grundsatzposition der Grünen habe sich durch die gestrigen Struck-Richtlinien „nichts geändert“. Außerdem hätten die Grünen „die besseren Sachargumente“. Man könne nicht die Bundeswehr „modernisieren und europakompatibel machen, wenn man an der Reformblockade Wehrpflicht festhält“, so Angelika Beer.

Doch wie viel zählt die grüne Meinung gegen die „Richtlinienkompetenz“ des Verteidigungsministers? Gegen die geballte Macht der SPD, des Bundeswehr-Verbandes und der Union, die sämtlich die Wehrpflicht beibehalten möchten?

Indem er die Grünen einfach überging, macht Struck den Streit um die Wehrpflicht zu einem veritablen Machtkampf in der Koalition. Indem er sich so weit aus dem Fenster lehnte, riskiert er auch die eigene Autorität. Denn hinter seine klare Festlegung von gestern („unabdingbar“) kann er kaum mehr zurück. Und feilschen geht nicht. Ein paar Zugeständnisse da, ein paar Änderungen dort – was bei der Agenda 2010 schwierig genug ist, scheint bei der Wehrpflicht ausgeschlossen. „Es gibt in dieser Frage keinen Kompromiss“, sagte Rainer Arnold, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, der taz. Natürlich bemühe man sich um Einvernehmen in der Koalition, betonte Arnold, drohte aber unverblümt: „Im Zweifelsfall muss sich der größere und stärkere Koalitionspartner durchsetzen.“

Beer will sich davon nicht beeindrucken lassen. „Wir wollen unsere Position durchsetzen.“ Nur wie? „Wir werden erst einmal koalitionsintern beraten.“ Auf den rot-grünen Koalitionsvertrag zu verweisen wird nicht genügen. Darin wurde zwar – auf Druck der Grünen – festgelegt, in der laufenden Legislaturperiode müsse „erneut überprüft“ werden, ob „Änderungen bei der Wehrverfassung notwendig sind“. Schöne Worte. Prüfen geht immer. Die Frage der Wehrpflicht noch mal zu „prüfen“, hat auch Struck gestern versprochen. Doch nicht nur dem SPD-Experten Arnold ist klar: „Wenn man ehrlich miteinander umgeht, muss man sagen: Diese Prüfung ist nicht ergebnisoffen.“

Im Hause Struck schon gar nicht. Dort hat man sich längst entschieden. „Der Schutz Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger“ erlaube keine kleinere Berufsarmee, wie sie den Grünen vorschwebt. Die reiche nämlich nicht „gegen terroristische Bedrohungen“, zur Sicherstellung der Landesverteidigung und bei Naturkatastrophen.

Ist das eine Katastrophe für die Grünen? Müssen sie wieder einmal kuschen? Keineswegs, sagt Beer. Sie hofft jetzt auf eine „breite gesellschaftliche Debatte“ und ist sich sicher: „In der Regierung gibt es auch Sozialdemokraten, die in dieser Frage aufgeschlossener sind.“ LUKAS WALLRAFF