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Archiv-Artikel

Respekt vor der Radikalität

Richard Modemann ist Kultur- und Friedenspreis der Villa Ichon 2004. Post mortem. Für eine Kunst, die er selbst vernichtet hat, und für ein politisches Engagement, an dem er nach Ansicht seiner Freunde verzweifelt ist: Die „kompromisslose Gegnerschaft zu Krieg und Chauvinismus in jeglicher Form“

Klaus Hübotter: „Vieles kann man bei einer Vernissage mit Sekt kaum zeigen.“ Aber den soll es sowieso nicht geben

Heute bekommt Richard Modemann post mortem den Kultur- und Friedenspreis der Villa Ichon zugesprochen, in der er selbst jahrelang als Galerieleiter aktiv war. Schon zu Lebzeiten sei ihm der Preis mehrfach angetragen worden, erzählen die Villa-Ichon-Leute, aber er habe ihn konsequent abgelehnt.

Genauso wie seine eigene Kunst, für die Modemann nun, verbunden mit seiner laut Jury „kompromisslosen Gegnerschaft zu Krieg und Chauvinismus in jeglicher Form“, ausgezeichnet wird. Seine Kunst also, zumindest eine großen Teil, hat Modemann vernichtet. Nicht theatral verbrannt, sondern einfach auf den Müll geschmissen.

Wenn Modemanns Freunde über dessen Leben sprechen, ist Klartext zu hören. Keine schönen Worte. Relativierungen oder irgendeine Form von Milde scheinen nicht zu passen. So sieht auch Modemanns Kunst aus: In der letzten Phase seines 73-jährigen Lebens hat der Kölner mit einem Grafik-Programm einfachster Art schlaglichtartige Wort/Bild-Kombinationen produziert. Äußerlich erinnern sie an die Faxart der Achtziger, inhaltlich geißeln sie sich durch sämtliche Missstände der Gesellschaft. Die formale Palette reicht vom Buchstabendreher bis zum tief eingebohrten Aphorismus.

Den letzten hat Modemann gnadenlos auf sich selbst angewendet: „Schnauze voll“, kombiniert mit der Zeichnung eines Mannes mit Sprengsatz im aufgesperrten Mund. Am 17. September vergangenen Jahres schoss sich Richard Modemann in den Mund und stürzte anschließend aus dem Fenster.

Auf seinem Schreibtisch, in einem Leitz-Ordner akribisch abgelegt, hinterließ er einen großen Stapel seiner computergenerierten Cartoons. Die Sammlung sei sein „Poesialbum“, schrieb Modemann dazu, als Deckblatt diente „Schnauze voll“.

Wenn man seine alten Freunde über Modemanns Tod sprechen hört, ist neben der Traurigkeit auch so etwas wie Respekt vor der Radikalität des selbst gewählten Endes zu spüren. „Jemand wie Peter Rühmkorf“, sagt Klaus Hübotter, „redet von Todessehnsucht und lässt sich anschließend den Büchner-Preis geben.“ Hübotter, der Bauunternehmer, ist Vorstandsmitglied und Initiator der Villa Ichon.

Seine Beziehung zu Modemann reicht bis Anfang der 60er Jahre zurück. Damals waren sie beide neu in Bremen, der aus Köln kommende Modemann hatte gerade begonnen, die Galerie in der Böttcherstraße zu einem Zentrum der Avantgarde zu machen. Modemanns eigene Kunst hingegen war von filigranen Satire-Zeichnungen im Stil der Fünfziger Jahre bestimmt. Deren dominantes Thema: Anti-Militarismus. Hübotter („ich war damals auch ein ganz großer Friedenskämpfer“) fühlte sich offenbar unmittelbar angesprochen und investierte sein erstes Geld in die Modemann‘sche Kunst. Jetzt schreibt er: „Richard Modemann hat den unauflösbaren Widerspruch zwischen Wirklichkeit und Ideal im wahrsten Sinne des Wortes todernst genommen.“

Jahrelang stand Modemann einmal pro Woche auf dem Marktplatz, behängt mit Sandwich-Plakaten, auf denen Sätze wie „Krieg ist ein Durchfall der Vernunft“ standen. Neben sich manchmal ein paar MitstreiterInnen, auf dem Kopf ein umgedrehter Nachttopf. „Dabei empfand er sich selbst als Karikatur“, meint Hübotter. Die sich willentlich den Aggressionen (manchmal auch Ermutigungen) der flanierenden Bürger ausgesetzt habe.

Andere sagen: „Am Schluss war er völlig frustriert.“ „Ein Nihilist“. Vom „Scheitern der Aufklärung“ ist die Rede, von einem „Dauerkrieg“, an dem Modemann kaputt gegangen sei. Franz Hector, der neue Programm-Verantwortliche der Villa Ichon, hat Modemann gar nicht mehr persönlich kennen gelernt – aber die von ihm hinterlassenen Cartoons gerahmt und für die Ausstellung vorbereitet. „Wenn man nur die Zeichnungen sieht, wirkt das wie ein großes Nein“, sagt Hector. Andererseits kämen immer noch Leute in‘s Haus, die Modemann suchten. „Weil sie offenbar gewohnt waren, sich regelmäßig mit ihm auszutauschen.“ Radtourende Rentner, Uni-Leute, der Küchengehilfe vom Italiener – Modemann scheint bei all‘ seiner Versammlungsscheue und zunehmenden Verbitterung auch ein sehr kommunikativer Mensch gewesen zu sein. Immer interessiert an den Meinungen anderer.

Allerdings nicht in Bezug auf seine Computerkunst: Die hat Modemann fast ausschließlich für die Schublade produziert. Seine Freunde waren bass erstaunt über die ihnen zuvor unbekannte Menge dieser Sprach- und Wortbilder.

Vieles könne man „bei einer Vernissage mit Sekt“ kaum zeigen, sagt Hübotter. Aber den soll es sowieso nicht geben. Statt dessen sämtliche der noch vorhandenen Modemann-Werke, ausgestellt auf allen Etagen und behängbaren Flächen der Ichon-Villa. Der Titel der Retrospektive: „400 Cartoons aus den vergangenen 40 Jahren“.

Künftig wird es in der Villa Ichon weniger Ausstellungen geben. Nur noch fünf oder sechs im Jahr, dafür konzentriert auf die Bereiche „kritische Grafik und kritische Fotografie“. Als künstlerischer Berater ist Lothar Bührmann engagiert, derzeit Stipendiat der Villa Massimo in Rom und 1997 Träger des Ichon-Preises. Bührmann will die Villa wieder intensiver mit anderen Institutionen vernetzen – das Neue Museum Weserburg hat bereits eine Harry Mink-Ausstellung vermittelt. Henning Bleyl

Die posthume Preisverleihung an Richard Modemann findet am heutigen Samstag um 11 Uhr in der Villa Ichon (Goetheplatz 4) statt. Die zugleich eröffnete Retrospektive seiner Werke ist bis zum 8. April zu sehenÖffnungszeiten: Montag bis Freitag 12.30 bis 19 Uhr, Samstag 11 bis 13 Uhr. Kontakt: ☎ (0421) 32 79 61