: Der doppelte Schaffensrausch
Wenn weder die Kunst noch das Kind geopfert werden und dabei auch noch der Mythos vom männlichen Genie korrigiert wird: Die Ausstellung „Doublebind. Kinder. Kunst. Karriere“ im Künstlerhaus Bethanien feiert den Status „Künstlerin mit Kind“
von KATRIN BETTINA MÜLLER
In den Dörfern rund um Berlin findet man sie überall: Denkmäler für die gefallenen Soldaten des Ersten Weltkrieges. Sie gelten Männern und sie gelten Toten. Das Unbehagen über ihr Pathos beruht nicht zuletzt auf dem Fehlen der Bilder von den zurückgebliebenen Frauen und Kindern. Tina Bara, Fotografin aus Berlin, hat zu diesen Denkmälern Stellung genommen: Da stehen eine junge Frau und ein Mädchen neben den martialischen Zeichen aus Stein. Bara zeigt die dörfliche Szene als unbeteiligtes Nebeneinander. Geht die patriarchale Tradition die beiden noch etwas an? Die Vergangenheit ist stumm, sie scheint ästhetisch und ideologisch zu sehr von gestern, um noch diskussionswürdig zu sein – und ist dennoch gegenwärtig.
Kinder zu haben, kann den Blick gewaltig verändern auf all das, was man ideologisch und diskurstechnisch schon bewältigt glaubte. Das ist ein Fazit der Ausstellung „Doublebind. Kinder. Kunst. Karriere“ im Künstlerhaus Bethanien. Kinder führen zu ungeahnter Konfrontation mit der Realität. Sie leiten möglicherweise das Ende der Illusion ein, im Milieu der Kunst antibürgerlich und frei zu leben. Signe Theill, selbst Künstlerin mit Kindern und Kuratorin der Ausstellung, hat vor allem Künstlerinnen eingeladen, die aus diesen Erfahrungen neues Kapital schlagen. Die sozialen und produktionstechnischen Probleme, die Arbeit im Atelier und in der Familie unter einen Hut zu bringen, werden vor allem in Videoporträts der Künstlerinnen und einer Podiumsdiskussion am 4. Juni bearbeitet. Die Ausstellung selbst dagegen vermittelt ein Bild spielerischer Leichtigkeit.
Sichtbar wird, was sich verändert hat, seitdem da eine zweite Gegenwart in die Konzentration im Atelier eingedrungen ist. Die Malerin Bettina Semmer hat die Leinwände ihrer „Assisted Paintings“ geteilt und während sie oben konzeptuelle Texte und realistische Bildweisen zitiert, hat ihr Nachwuchs in der unteren Hälfte Farbe großzügig verteilt und verlaufen lassen. Da prallen zwei unterschiedliche Energieformen aufeinander, zwei Rhythmen und zweierlei Gebrauch der Farbe – und dennoch reflektiert das Ergebnis zugleich konzeptuelle Fragen der Möglichkeit von Malerei.
Besonders schön ist der Beitrag der irischen Künstlerin Blán Ryan. In eine große Palette sind statt der Farbkleckse drei Monitore eingelassen: Da sieht man Ryans Tochter aus Lehm ihre eigene Welt erschaffen. Sie knetet und stampft den Lehm mit Händen und Füßen, summt vor sich hin, erzählt von der Erde und den Planeten. Mit ein wenig Zeitlupe und kleinen Manipulationen der Bilder hat die Mutter nachgeholfen und schon sehen wir die Tochter als mächtige Zauberin. Ihre knubbeligen Lehmmonster stehen auch auf der Platte – man muss sie nicht für Kunst halten. Aber dass ihr Schaffensrausch, ihre Allmachtsfantasien eine wunderbare Korrektur zum Mythos vom männlichen Genie darstellen, ist klar.
Die Künstlerin Twin Gabriel hat sich mit der verkleinerten Ausgabe ihrer selbst fotografiert und einmal in ihren Partner verwandelt, und wieder ist das Kind dabei: Familie als Einladung, viele Positionen auszuprobieren. Diese Ungezwungenheit verblüfft, denn nach wie vor sieht der Alltag mit Kind eher nach einer Verfestigung der Rollen aus.
Man könnte der Ausstellung vorwerfen, dass sie in unbegründetem Optimismus nur die produktiven Seiten des Status Künstlerin mit Kind feiert. Wo bleibt das Misstrauen: darüber zum Beispiel, dass die neue Lust am Kind und die verschärfte Konkurrenz um Arbeitsplätze verdächtig gut zueinander passen? Oder darüber, dass es für Künstlerinnen noch immer heikel sein kann, sich zu ihrem Mutterstatus zu bekennen – gleich wird ihre Professionalität bezweifelt und Stipendiatenhäuser winken ab.
Doch diese Entwicklung übersehen die meisten der 27 beteiligten Künstlerinnen, unter ihnen auch international bekannte Künstlerinnen wie Jenny Holzer und Aura Rosenberg, ja gar nicht. Den Gewinn und nicht die Verluste des Kunstmachens mit Kindern zu markieren, ist dennoch eine Wendung, die von einem veränderten Bewusstsein zeugt. Geopfert wird hier nicht – die Kinder nicht und nicht die Kunst.
Bis 9. Juni, Mi.–So., 14–19 Uhr, Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz, Kreuzberg, Katalog ab 4. Juni. Weitere Infos unter www.doublebind.de