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Archiv-Artikel

„Das multikulturelle Kosovo ist tot“

In Mitrovica, noch vor Tagen Schauplatz heftiger Unruhen, wollen die Serben getrennt von den Albanern leben.Fünf Jahre nach dem Krieg um die Provinz sei das Bemühen der UNO, die Volksgruppen zu versöhnen, gescheitert

MITROVICA taz ■ Dragan deutet auf die Brücke über den Fluss Ibar, die jetzt durch Natodraht und Betonbarrieren blockiert ist. Schwerbewaffnete französische Soldaten ducken sich hinter die Sperren. Denn seit in der Nacht zum Donnerstag ein „besoffener Serbe“, wie der bärtige Fotograf sagt, eine Handgranate auf die Brücke warf, sind die Sicherheitsmaßnahmen für die KFOR-Soldaten an der Demarkationslinie zwischen Albanern und Serben geteilten Stadt nochmals verschärft worden.

Dabei scheint auf der serbischen Seite des Flusses jetzt, nach den Schießereien der vergangenen Woche, alles friedlich zu sein. In der unter Serben berühmten Bar „Dolce Vita“ direkt gegenüber der Brücke drücken sich ein paar Pärchen in den Ecken herum. Spaziergänger flanieren die hier einmündende Hauptstraße entlang, in der sich Menschen in den Cafés drängen. Die Läden sind offen, die Waren sind in serbischen Dinar ausgezeichnet – ein Zeichen des Unmuts über den von der UN-Mission offiziell eingeführten und von den Albanern benutzten Euro als Zahlungsmittel.

Selbst die „Brückenwächter“, die stämmigen, kampfbereiten und manchmal Besuchern gegenüber aggressiv auftretenden Männer, sind verschwunden. Der Verkäufer des Schuhgeschäfts lächelt freundlich, auch wenn er die gesamte Situation „zum Kotzen“ findet und die Albaner zum Teufel wünscht. Die Stadt, sagt er, habe sich so verändert, „dass man sie nicht mehr wiedererkennt“. Viele Alteinwohner seien weg, viele serbische Flüchtlinge aus anderen Teilen Kosovos seien hereingeströmt. „Bauern vom Lande“, sagt er ein wenig verächtlich.

Seit die Albaner wegen der Angriffe auf die serbischen Enklaven im Kosovo in die internationale Kritik gekommen sind, seit der EU-Außenpolitiker Javier Solana just am 5. Jahrestag des Nato-Angriffes auf Serbien am 24. März wutentbrannt eine Sitzung mit den albanischen Politikern in Priština verlassen hat, weil sie sich nicht richtig für die Angriffe entschuldigt hätten, sind die Serben gegenüber den internationalen Vertretern freundlicher geworden. Der politische Wind hat sich gedreht, und sofort verändern sich kollektive Verhaltensweisen.

Viele, die früher ausländischen Reportern gegenüber zurückhaltend bis ablehnend auftraten, wollen jetzt bereitwillig ihre Geschichte erzählen. So auch Svetlana. Als Frau eines Übersetzers bei der UN-Mission lebte sie mit Mann und zwei Kindern in einem kleinen Haus in einem Vorort und nicht in dem von Serben bewohnten Wohnkomplex, der vorige Woche von albanischen Demonstranten zerstört wurde. „Dort wurden die Leute wenigstens von der KFOR evakuiert, wir aber mussten uns selbst durchschlagen“, klagt sie. Rasch seien Jugendliche in das Viertel eingedrungen, sie packte noch ein paar Sachen, setzte sich mit den Kindern ins Auto und fuhr davon. „Gott sei Dank war dies das Auto eines bosnischen Freundes, eines Muslim“, lacht sie, „der hatte das Auto mit den bosnischen Nummernschildern bei uns abgestellt.“ Sie wurde von den Albanern für eine Bosnierin gehalten und gelangte unbehelligt nach Nord-Mitrovica. Ihr eigenes Auto mit jugoslawischen Nummernschildern ging später in Flammen auf.

„Mit den Albanern zusammenzuleben ist für uns nicht möglich“, sagt der 55-jährige Dragan und nippt an seinem Schnaps. Was werden wird, weiß er nicht. „Fest steht nur, dass die Serben in den Enklaven und in Nord-Mitrovica mit den Albanern nichts mehr zu tun haben wollen.“ Die Politik der Unmik, im Zuge der „Normalisierung und Versöhnung“ die Präsenz der Kfor-Truppen bei den Enklaven und in Mitrovica zu verringern, habe sich als gefährliche Illusion herausgestellt: „Wir Serben müssen auf eigenen Füßen stehen.“ Nur mit den so genannten Parallelstrukturen könnten die Serben im Kosovo leben. „Das Telefonsystem ist an das Serbiens angeschlossen, wir haben unsere Währung, eigene Medien, nur die Wasserversorgung der Stadt hängt noch zusammen. Das multikulturelle Kosovo ist tot.“ Er will die geteilte Stadt.

ERICH RATHFELDER