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Archiv-Artikel

Von Darmstadt nach Madrid

Einer der mutmaßlichen Attentäter des 11. März war in Darmstadt polizeilich gemeldet – und den deutschen Behörden schon lange bekannt

VON ANDREAS SPANNBAUER UND REINER WANDLER

Die Mieter des Neubaus in der Berliner Allee in Darmstadt schreckten auf: In der Nacht zum Freitag, etwa gegen halb elf, sprengten sich vermummte Polizisten mit einem lauten Knall den Weg in eine Wohnung im dritten Stock frei. Mehrere Fenster im Treppenhaus gingen bei der Explosion zu Bruch; rund zehn Beamte stellten die Wohnung bis spät in die Nacht auf den Kopf.

Zuvor hatten die deutschen Behörden einen Hinweis aus Spanien bekommen. Dort war ein 28-jähriger Marokkaner festgenommen worden – er wird beschuldigt, mit den Anschlägen des 11. März in Madrid in Verbindung zu stehen. Der Verdächtige, so ließen die spanischen Ermittler ihre deutschen Kollegen wissen, habe sich zwischenzeitlich auch in Deutschland aufgehalten. Kurz darauf begann das hessische Landeskriminalamt, die Wohnung des Verdächtigen zu durchsuchen.

Allerdings gibt es bisher keine Hinweise darauf, dass die Bombenattentate in der spanischen Hauptstadt in Deutschland vorbereitet worden sein könnten. Nach den bisherigen Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft ist der Marokkaner zwar seit Oktober 2003 polizeilich in Darmstadt gemeldet; er blieb aber tatsächlich nur einige Tage in der Bundesrepublik. Auch der nordrhein-westfälische Innenminister Fritz Behrens (SPD) betonte, der Mann habe sich „offensichtlich nur sehr kurz in Deutschland aufgehalten“. In der Wohnung soll er nur als Untermieter gemeldet gewesen sein. Berichte, wonach er an der Technischen Universität Darmstadt für ein Studium der Elektrotechnik eingeschrieben gewesen sein soll, wollte Generalbundesanwalt Kay Nehm vorerst nicht bestätigen. Nach anderen Informationen hat er sich in Darmstadt über Deutschkurse informiert.

Schon früher hatte der Verdächtige die Aufmerksamkeit der Staatsschützer erregt. Bereits im Sommer 2002 sollen die spanischen Sicherheitsbehörden nach Informationen der ARD das Bundesamt für Verfassungsschutz sowie das Bundeskriminalamt um Hilfe gebeten haben. Der jetzt Festgenommene, so die Erkenntnisse aus Madrid, habe damals Kontakt mit einem verdächtigen Extremisten gehabt. Doch den deutschen Behörden war der Marokkaner nicht bekannt – die Anfrage aus Spanien, ob Deutschland über weitergehende Informationen verfüge, wurde negativ beantwortet. Seitdem soll der Marokkaner in der Nadis-Datei, also dem „Nachrichtendienstlichen Informationssystem“ der Verfassungsschutzbehörden, geführt worden sein. Aus dieser Datei geht jedoch nur hervor, ob über eine Person Erkenntnisse vorliegen, aber nicht, welche. Für eine Aufnahme als gewaltbereiter Islamist in die so genannte Gefährder-Datei sahen die Behörden laut ARD damals keinen Anlass.

In Sicherheitskreisen wurde die Verbindung nach Deutschland gestern zurückhaltend bewertet. Ob zwischen dem Aufenthalt in Darmstadt und der Bombenkampagne von Madrid eine Verbindung bestehe, könne zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beurteilt werden, hieß es. Auch der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz sagte, erst wenn es gesicherte Erkenntnisse über eine Tatbeteiligung gebe, könne man politische Folgerungen daraus ziehen.

Schon bei der Vorbereitung der Anschläge von New York und Washington hatten die Dschihadterroristen sowohl in Deutschland als auch in Spanien operiert. Zu den letzten Vorbereitungen für den 11. September zog es den Hamburger Todespiloten Mohammed Atta und seine Kumpanen am 8. Juli 2001 ebenfalls nach Spanien. Atta traf sich an der Mittelmeerküste in der Nähe von Tarragona mit dem Kopf der Operation, Ramzi Binalshibh. Atta kam aus Miami, Binalshibh reiste aus Deutschland an. Die beiden klärten vermutlich bei ihrem mehrtägigen Treffen die letzten Details der Anschläge auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington. Ursprünglich sollte das Treffen in Malaysia abgehalten werden. Doch wegen Terminschwierigkeiten Attas wurde das Treffen verschoben. Die Wahl fiel auf Spanien, weil al-Qaida dort über eine breite Infrastruktur verfügte.

Auch der Algerier Mohammed Bensakhria, der einen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Straßburg vorbereitet haben soll, flüchtete vor seiner Festnahme durch die Frankfurter Polizei im Dezember 2000 ins spanische Alicante. Dort nahm ihn die Polizei drei Monate vor dem 11. September 2001 fest.

Gegen den nun in Spanien verhafteten Marokkaner ermittelt der Generalbundesanwalt wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung. „Nach den bisherigen Ermittlungen“, so teilten die obersten Strafverfolger aus Karlsruhe gestern mit, „kann eine Planung oder Vorbereitung der Anschläge von Madrid von Deutschland aus nicht bestätigt werden“. Beweismittel, die bei der Kommandoaktion in der Nacht zum Freitag sichergestellt wurden, werden derzeit noch ausgewertet.