: Feige Nachsichtigkeit
betr.: „Im Namen Gottes“ (Im „Dialog mit dem Islam“ hat sich ein bedenklicher Kulturrelativismus entwickelt. Das System der Einschüchterung von Kritikern durch Islamisten wird hingenommen), taz vom 20. 5. 03
Endlich mal ein halbwegs deutliches Wort. Die Linke – und, so Leid es mir tut, man muss es sagen, auch die taz – ist an der völligen Verkennung des Islams bzw. islamischer Aktivitäten vor allem hierzulande sehr intensiv beteiligt (ich weiß schon, „den“ Islam „gibt es gar nicht“, aber „das“ Christentum gibt es auch nicht, und niemand stört sich daran, wenn wir mit Freuden drüber herziehen). Ich kann nur zwei Heilmittel empfehlen:
1. mehrere Wochen in ein islamisches Land fahren, am besten in eines, von dem man weiß, dass es gerade nicht fundamentalistisch ist; dort Augen und Ohren offen halten und mit möglichst vielen Leuten reden: mit überzeugten Muslimen, die, auch wenn sie ausgesprochen nett sind, die ungeheuerlichsten Dinge sagen, mit Leuten, die so weit gehen mit dem Selbstdenken, dass sie zu anderen Schlüssen kommen als Mohammed selig, und mit Leuten, die wenigstens in irgendeinem Rahmen selbst entscheiden wollen, wie sie sich ihr Leben einrichten, und dabei womöglich den Schluss gezogen haben, der Islam sei nicht ihr Ding;
2. den Koran lesen, am besten von vorne bis hinten, und jeden Satz wörtlich nehmen.
Wer danach immer noch Kritik am Islam mit Rassismus verwechselt und kein Quäntchen Kritik an den Islamisten zulassen kann, ohne den Gebetsmühlennachsatz einzufordern, das sei jetzt keine Kritik am Islam, sondern nur eine an den Auswüchsen, Extremen oder sonst was, dem ist nicht zu helfen.
Ich finde es die Katastrophe pur, dass der Terror bereits jede normale Berichterstattung im Keim erstickt und dass ausgerechnet die Linken, die bei jedem Mini-Unsinn (berechtigt) aufjaulen, den die katholische Kirche von sich gibt, jede kriminelle Äußerung und sogar die meisten kriminellen Taten von Muslimen als verständlichen Auswuchs der Unterdrückung zu verstehen trachten. Wie war das noch mit „unseren“ rechtsradikalen Schlägern? Wir wissen längst, dass das ach so große Verständnis der erwachsenen Subkutan-Rechten die Burschis sauber ermuntert, Ausländer zu „klatschen“ oder andere kriminelle Handlungen zu unternehmen. Inzwischen ist dieses Wissen sogar teilweise bei den erwachsenen Rechten angekommen. Bloß ein Teil unserer Linken hat den Mechanismus noch nicht begriffen, wenn es um die armen Muslime geht. NAME und Anschrift sind der Red. bekannt
Es ist völlig richtig, dass physischer Gewalt oder deren Androhung gegen Journalisten klar entgegengetreten werden muss. Und dies auch, wenn Emotionen manchmal zu kochen beginnen angesichts dreister Lügen, mit denen Leser/Zuschauer ganz generell von der Mehrheit der Medien (und dies mit bedenkenloser Selbstverständlichkeit) gefüttert werden.
Wenn die NZZ schreibt‚ sie sieht eine „schleichende Auszehrung der journalistischen Neugier“, die die Pressefreiheit gefährde, ist in Wirklichkeit die Pressefreiheit großenteils nur noch eine Farce, und die journalistische Neugier nagt angesichts Redaktions- und Besitzerknebeltechnik längst am Hungertuch. Macht und Geld bestimmen im Großteil die Medien, was schlussendlich gedruckt oder gesendet wird. Die Irakkriegsberichterstattung ist da nur eines von vielen Anschauungsbeispielen.
Aber zum Glück gibt es immer wieder Pressestimmen, die diesem Druck nicht nachgeben. ADRIAN HITZ, Hamburg
betr.: dito, „Wir brauchen einen Krieg der Ideen“, Interview mit Paul Berman, taz vom 17./18. 5. 03
Die zwei Artikel über die Auseinandersetzung mit dem Islamismus im Allgemeinen, die letzte Woche bei euch erschienen, können schön als Beispiel dafür dienen, wie unterschiedlich scheinbar Verbündete in einem politischen Konflikt sich verhalten können: „totalitär“ wie Paul Berman oder auf Deeskalierung bedacht wie Eberhard Seidel.
Paul Berman kritisiert, dass wir des Kampfes gegen den Totalitarismus müde seien. Bei mir ist das in der Tat der Fall, und zwar schon seit vor 1989, und ich habe es nicht als „Blindheit“ empfunden, sondern im Gegenteil als Sehenlernen. Dass nämlich die Fixierung der ideologischen Meinungsführer aufeinander an den (auch intellektuellen) Interessen normaler Menschen in der Regel vorbeigeht. Berman dagegen scheint mir immer noch fixiert auf den ebenbürtigen politischen Gegner, mit dem er sich dann so herrlich rumkabbeln kann wie einst mit Georg Lukács – und blind dafür bleiben, dass man auf sehr verschiedene Art leben und denken kann. Und dass nicht jeder, auch wenn er in London oder New York wohnt, von der rationalen Geistesschärfe des Liberalismus fasziniert ist. Es gibt nämlich ein Leben jenseits des Liberalismus, und das muss nicht gleich antiliberal sein. Nur eben anders. […]
Berman aber will verbieten. Bei ihm heißt das zwar „überzeugen“, aber was ist das anderes als „intellektuell vernichten“. […]
Wo die tatsächliche Gefahr des Islamismus liegt, zeigt Eberhard Seidel sehr gut in seinem Artikel „Im Namen Gottes“. Nicht in seiner Ideologie nämlich, sondern in seinen Ideologen. Nicht Gott ist das Problem, sondern der Missbrauch seines Namens. Es gibt konkret benennbare Organisationen, die ihren Glauben auf eine sehr weltliche Weise und mit erstaunlicher Intoleranz gegen Angriffe zu schützen vorgeben, die in jeder lebendigen Gesellschaft normal sind und die jeder echte Glaube locker verkraften kann. Wer sich durch ein boshaftes Buch oder gar durch einen simplen, flachen Witz derart in seiner Religiosität verletzt fühlt, dass er versucht, die Pressefreiheit zu unterminieren, dessen Glaube muss ziemlich schwach sein.
Offenbar geht es weniger um verletzte religiöse Gefühle als um das Hegemoniestreben bestimmter gesellschaftlicher Gruppen. Die feige Nachsichtigkeit gegenüber diesen Gruppen, die Seidel beklagt, scheint mir einem schlechten Gewissen zu entspringen. Wer sich wirklich tolerant gegenüber dem Andersdenkenden verhält, der weiß auch, wo mit dieser Toleranz Schluss ist: da, wo sie nicht mehr auf Gegenseitigkeit beruht.
MARTIN SCHÖNEMANN, Bremen
Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor. Die erscheinenden Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.