GRÜNES PAPIER ZUM ARBEITSMARKT: EIN BESCHEIDENES PROGRAMM : Begrenzt haltbar
Die Sonderparteitage bei SPD und Grünen nahen. Die Hochkonjunktur für Positionspapiere bricht an. Die SPD hat bereits so viele Leitanträge, Perspektivanträge und Iwans, dass ein Überblick schwer fällt. Aber auch die Grünen haben schon so einige Papiere produziert, nur fiel das bisher nicht so auf. Da gab es etwa vor kurzem eine „Sozialpolitische Kommission“, eingesetzt vom Bundesvorstand, die ein 20-seitiges Konvolut erstellte. Es trug den Sponti-Titel „Sozial ist nicht egal“, kümmerte aber trotzdem niemanden. Seit gestern existiert nun eine weitere Schrift, diesmal von den Arbeitsmarktexperten der Grünen-Fraktion. Die maximale Haltbarkeitsdauer des Papiers ist prognostizierbar – bis zum nächsten, also höchstens vier Tage. Denn der Bundesvorstand hat seinen Leitantrag für Montag angekündigt.
Trotzdem sollte das neueste Positionspapier nicht ganz unbeachtet verschwinden. Denn interessant ist die Fallhöhe zwischen Semantik und Realität. Das beginnt schon mit dem Titel „Chancen für alle“. Jeder soll „teilhaben“ können an Arbeit und Bildung, geht’s im Text dann weiter. Was für ein Versprechen bei real mindestens fünf Millionen Arbeitslosen und einem Schulsystem, das verlässlich nur die besseren Einkommensschichten fördert. Gespannt wartet man nun auf das „Bewegungsangebot“, das folgen soll.
Doch da folgt nicht viel. Immerhin sollen Arbeitslose künftig auch ehrenamtlich tätig sein dürfen, ohne dass ihnen vom Arbeitsamt vorgehalten wird, sie würden dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen – und daher sei leider die staatliche Unterstützung zu streichen. Oder eine andere Idee: Wenn ein Erwerbsloser bei der Schwarzarbeit erwischt wird, dann soll er nicht mehr die ganze Arbeitslosen- oder Sozialhilfe verlieren, wie es die jetzige Rechtslage vorsieht – sondern nur noch einen Teil.
Kein Zweifel, es wäre ein Fortschritt, wenn einige Sanktionen gestrichen würden. Und es ist gut, dass die Grünen eine neue Arbeitsbürokratie entwerfen wollen, die nicht mehr ganz so paternalistisch ist. Aber was hat dieses bescheidene Programm mit dem Titel zu tun: „Chancen für alle“? Einfach gar nichts. ULRIKE HERRMANN