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Archiv-Artikel

Armut keine Frage der Konjunktur

Der Kampf gegen die ökonomische Ausgrenzung von Milliarden Menschen dürfe nicht davon abhängen, dass die Wirtschaft in den Industrieländern boomt, mahnt Weltbank-Chef Wolfensohn. Stattdessen müsse er als Eigeninteresse erkannt werden

aus Berlin CHRISTIAN HONNENS

Eine schwache Konjunktur ist keine Ausrede dafür, die Entwicklungshilfe zu vernachlässigen. Das meint zumindest Weltbank-Präsident James D. Wolfensohn. Fünf von sechs Milliarden Menschen auf dieser Welt lebten in Entwicklungsländern. „Das ist ein Markt für Deutschland“, so Wolfensohn gestern in Berlin auf einer gemeinsamen Veranstaltung mit Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD). Zudem sorge die Bekämpfung von Armut für mehr Stabilität in den entsprechenden Regionen. Das müsse auch im deutschen Interesse liegen. Deshalb dürfe sich die Bundesregierung nun nicht hinter den Konjunkturprognosen verstecken und auf ein Wirtschaftswachstum von 3 Prozent warten.

Über die Ausschreibungen der Weltbank habe Deutschland im Jahr 2002 Waren und Dienstleistungen im Wert von 2 Milliarden US-Dollar an Länder in der Dritten Welt geliefert, hielt Wieczorek-Zeul dem Weltbank-Chef entgegen. Damit habe man immerhin einen Anteil von 13,8 Prozent an den dortigen Importen.

Wolfensohn lobte denn auch Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Dieser habe offenbar erkannt, dass Armut und Frieden verknüpft seien. Aus diesem Grund wohl stelle er den Kampf gegen die Armut nicht hintenan, so der Weltbank-Chef. Kritische Zuhörer interpretierten das vermeintliche Lob jedoch als versteckte Ermahnung an die Bundesregierung, sich daran zu erinnern, dass sie beschlossen hatte, die deutsche Entwicklungshilfe bis zum Jahr 2006 auf das durchschnittliche Niveau der Europäische Union anzuheben. Dazu müsste Rot-Grün den Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttoinlandsprodukt, also der Summe aller in Deutschland erzeugten Waren und Dienstleistungen, von 2,7 auf 3,3 Promille erhöhen. Eine Botschaft, die Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) nicht gern gehört haben dürfte.

Wolfensohn erklärte, er hoffe, dass vom G-8-Gipfel in Evian ein neues Signal zur Armutsbekämpfung ausgehen werde. Deshalb werde er zuvor mit Schröder und Eichel zusammentreffen. Wieczorek-Zeul kündigte an, dass beim Gipfel auch über die europäischen Agrarsubventionen und die Öffnung der Märkte in den Industrienationen gesprochen werde. Dass die reichen Länder die Konkurenz aus den Entwicklungsländern ausschlössen, sei unfair, erkannte sie an. Schließlich könnten sich diese nur nachhaltig entwickeln, wenn sie selber exportieren dürften.

Zur Weltkonjunktur sagte Wolfensohn, er sehe derzeit keine Weltwirtschaftskrise aufkommen. „Während es in einigen Ländern immer Risiken gibt, kann ich heute keine systematischen Risiken erkennen.“

In dieser Woche war Wolfensohn auf dem Bonner Petersberg mit über 350 Experten zusammengetroffen, um über die Rolle von Bildung und Wissen im Kampf gegen die Armut zu sprechen. Beim 6. Deutschen Weltbankforum sagte er: „Wissen – von der grundlegenden Fähigkeit, lesen zu können, bis hin zu landwirtschaftlichem Know-how und einer fachtechnischen Ausbildung – versetzt Menschen in die Lage, ihre Chancen und Möglichkeiten auszuschöpfen.“ Deshalb müsse die weltweite Wissenskluft zwischen Arm und Reich überwunden werden.

Allein in Deutschland haben mehr Menschen einen Internetzugang als in Afrika, Südasien und dem Nahen Osten zusammen. In Bangladesch kann sich kaum jemand einen Computer leisten, da er mehr als das Vielfache eines durchschnittlichen Jahreslohnes kostet. Diese Kluft lasse sich nicht schlagartig überwinden. Es gebe aber die Chance, Quantensprünge zu machen. „Die Armen wollen nicht Wohltätigkeit, sondern Chancen.“