Eine Verführung in Preußen

Der Erweiterungsbau des Deutschen Historischen Museums bringt Berlin spektakuläre Jetset-Architektur und beendet zugleich die Bauära Kohl

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Hat die Hauptstadt nun endlich ihren Louvre und ein Exempel baulich-moderner Extravaganz? Sie hat – wenn auch im Kleinen. Das wird das Mütchen jener kühlen, die in Berlin seit Jahren den Vergleich mit den Großen der Weltarchitektur herbeigeredet haben. Und mehr noch: Der spektakuläre Erweiterungsbau für das Deutsche Historische Museum (DHM), der heute mit der Ausstellung „Idee Europa“ eröffnet wird, erfüllt noch andere Parameter aus dem internationalen Baukatalog: Architekt ist der Altmeister Ieoh Ming Pei (86), ein Schüler des Bauhaus-Gründers Walter Gropius.

Zugleich weist alles darauf hin, dass der Neubau mit seinem gläsernen Treppenturm schon jetzt zu einem neuen Wahrzeichen der alten Berliner Mitte geworden ist. Über 20.000 Besucher sind nach der Fertigstellung im März 2003 an nur einem Wochenende durch den „Pei-Bau“ flaniert.

In der Tat hat der chinesisch-amerikanische Architekt mit dem kleinen dreieckigen Erweiterungsbau im Rücken des barocken Zeughauses den hauptstädtischen Gusto nach repräsentiver Architektur getroffen. Der „Pei-Bau“ erscheint neben dem Pathos barocker und klassizistischer Architektur an der Straße Unter den Linden wie ein bauliches Ausrufungszeichen voll schlichter Eleganz, radikaler Modernität und schöner Materialität, die das benachbarte Einerlei aus banalen Büro- und Abgeordnetenbauten auf die Ränge verweisen.

Zugegeben, ein Gang in die herausspringende Treppenspindel und durch das Haus aus Glas, Stahl, hellem Granit und Sandstein gleicht einer Promenade architecture, die immer wieder neue Perspektiven ins Innere der Gebäudeskulptur und nach draußen eröffnet. Wie im Louvre, der Bank of China in Hongkong oder der Washingtoner Kunsthalle „verführt“ der Architekt eher, als dass er den Nutzer anspricht. Pei: „Mein Treppenturm ist vorwitzig, doch das soll er sein. Was hier gezeigt wird, soll Menschen dazu verführen, sich durch das Haus zu bewegen, voller Neugier und Genuss. Selbst in das vierte Geschoss will ich sie locken, durch Treppen, neue Über- und Ausblicke.“

Dergestalt angelockt, betritt der Besucher das Museum über ein riesiges, raumhohes Foyer aus Glas, das den Blick bis zum Himmel freigibt. In der weiten Vitrine führt der Weg weiter zu wellenförmig abfallenden Treppen, die ins Tiefgeschoss und die unterirdische Verbindung zum Zeughaus, dem Hauptgebäude des DHM, leiten. Über dem Kopf tun sich offene Galerien, Stege und Brücken auf, als befinde man sich auf einem Ozeandampfer. Steigt man die Wendeltreppe in der Glasrotunde hinauf, blickt man zurück auf die vielen horizontalen sowie vertikalen Himmelsleitern und hinaus auf das Zeughaus Schlüters, zu Schinkels Neuer Wache und hinüber zur Museumsinsel.

Doch dem überschwänglichen Schauraum folgt eine harte Zäsur: Weil Pei mehr den Dialog mit dem historischen Umfeld und zu den Architekturstars Preußens gesucht hat („Das Zeughaus erscheint durch das Schaufenster der Vitrine selbst wie ein Objekt der Geschichte“), bleiben die eigentlichen Räume für Austellungen Hintergrund der Architektur. Nur knapp die Hälfte der 2.700 Quadratmeter Gesamtfläche ist für die Wechselausstellungen reserviert. Sie werden in niedrige Blackboxes in den Nordschenkel gedrängt. Wohin die 54 Millionen Euro Baukosten geflossen sind, ist damit evident, ebenso, dass das Zeughaus mit 7.500 Quadratmeter Fläche nach der Sanierung 2004 den Löwenanteil der DHM-Schauen weiter beherbergen wird.

So bleibt der Neubau das, was er von Beginn an sein sollte: ein Stück neuer Berliner Staatsarchitektur, die sich 1995 Kanzler Helmut Kohl per herrischen Direktauftrag an Pei und in Anlehnung an Mitterrands Louvre-Geste gewünscht hatte. Pei, der für die Mächtigen der Welt baut, war da der Richtige. Zugleich bildet sein Bau den vorläufigen Abschluss der Kohl’schen Bauikonografie für die Hauptstadt – mit dem großen Schlitten für das Kanzleramt, den Parlamentsriegeln im Spreebogen und dem Reichstag, die der Bonner Bescheidenheit ein Ende setzten. Was jetzt fehlt, ist nur noch eines: das Stadtschloss.