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Archiv-Artikel

Banane und die Ultras

Seine Mutter ist Deutsche, sein Vater Syrer. Deshalb legte er sich einen Spitznamen zu. Um bei den prolligen Hertha-Fans gelitten zu sein. Heute ist Dured El Rifai ein ordentlicher Realschullehrer – und immer noch ein glühender Fan des hauptstädtischen Bundesligaklubs. Ein Bildungsroman in wenigen Akten, doch mit politischen Inkorrektheiten, aufgeschrieben vor dem letzten Bundesligaspieltag, bei dem Hertha um die Uefa-Pokal-Teilnahme kämpft

von PETER KESSEN

Bei Schlagerspielen verlässt „Banane“ seinen Tribünenplatz. Läuft die Treppe in der Ostkurve des Olympiastadions hinunter, zu seinen „Ultras“, den „Harlekins“. Dann steht er, mit dem Rücken zu Marcelinho & Co., auf der Brüstung neben dem „Kapo“ mit dem Megafon. Und singt: „Und der Mond zieht seine Bahn überm Reich des Hertha-Klan.“

Ich bin ja bekannt bei den Jugendlichen, ich bin da schon eine etwas außergewöhnliche Figur, auch durch meine Größe, auch durch mein lautes Organ.“ Er ist seit 23 Jahren ein Herthaner. Erst als „Normalo“, der sich bald verwandelte in eine „Kutte“ mit Trikot und blauweißer Jeansweste, die dann Bomberjacke und Glatze wich, um bei „Spreerandale“ den Skinhead zu geben. Gefolgt von Hooliganismus und der letzten Station, den „Ultras“, den neuen Aficionados. Heute schreibt er eine Doktorarbeit in Sportsoziologie.

„Banane“ ist 36 Jahre alt und heißt Dured El Rifai, ist Sohn einer deutschen Mutter und eines syrischen Vaters, aufgewachsen in der Hochhaussiedlung Gropiusstadt. Im Hauptberuf Lehrer für Sport, Englisch und Religion an einer Realschule in Schöneberg.

Dured sitzt im lichtdurchfluteten Wohnzimmer seiner Stuckaltbauwohnung in Neukölln, an einem Eichentisch zwischen polierten Antiquitäten. In schwarzen Jeans und T-Shirt mit Hertha-Fahne. Er hat seine Vergangenheit nicht entsorgt, pflegt sein Archiv, mit den Fernsehberichten über Randale, den Skinheadmemorabilien, den Fahrten auf Herthas Spuren. Warum ehrt die Sammlung ausgerechnet jene Jahre, in denen er, der Sohn eines syrischen Architekten, mit Ausländer-raus-Brüllern durch Deutschland tourte? „Ja, es erscheint jetzt schizophren. Es war nicht der Gruppenzwang, sondern es war auch meine Meinung.“

1979 stand Dured zum ersten Mal im Olympiastadion. Als Teenager hat er sich bei den Blau-Weißen eingereiht – obwohl man in der Kurve „mit einem ausländischen Namen auch mal grundlos angefeindet wird“. Mit achtzehn Jahren wurde Dured ein Skinhead. Da reagierte manche Ostkurvenglatze überfordert: „Bist du ein Kanake?“

Er ist weiter mit Rechten durch Deutschland gereist. Na ja, meint er heute, so wild sei das nicht gewesen, eher rechte Parolen als Provokation. Außerdem habe sich der Hass nicht gegen alle Ausländer gerichtet. Nur gegen bestimmte, für die Rechten sei er „nie wirklich ein Kanake gewesen: „Es war einfach nur die Frage für diese Leute: Wie kann jemand sich mit dem Verein identifizieren und gleichzeitig nicht vollkommen zu uns gehören?“

Dured ist geblieben. Und hat mitgesungen. Die Polizei ermittelte gegen ihn wegen Landfriedensbruchs. Mancher Showdown gefriert in seiner Erinnerung zum Polaroid. Zum Beispiel „das Weiße im Auge“ des Nürnberg-Hools mit dem Stein in der Hand, fünf Meter entfernt, oder Schlägereien, wie in Duisburg, taghell unter Leuchtspurmunition, selbst „gestandene Hooligans hatten da die Angst in den Augen“.

1985 war das Jahr der Radikalisierung, das Jahr, als er die Springerstiefel schnürte. „In dem Moment hieß es nur: bewusst männliches Auftreten. Die Fähigkeit, viel zu trinken. Sein Territorium zu verteidigen. Wer etwas gegen Berlin sagte, der wurde notfalls mit körperlicher Gewalt zurechtgewiesen. Mit Glatzeschneiden und mit Stiefeln ins Stadion, das hat die anderen schon ziemlich beeindruckt.“ Fast die ideale Antwort für einen Sozialpädagogen: der Skinhead als Ikone der Härte, in einer ewigen Grenzschlacht, die ihm sagt, wer er ist, wen er hasst, ohne Fragen in den Blitzscharmützeln zwischen Hauptbahnhof und Stadion.

Ein Verständnis, das zu viel versteht. Denn Rechtsradikalismus antwortet auf Teenagerkrisen nicht wie andere Jugendkulte, die sich auch durch Abgrenzung auszeichnen – minus Nationalismus. „Zuwider“ waren Dured auch jene Schläger, die nur vor dem Stadion am Bierstand auf Randale warteten. Da erscheint der Kleinkrieg mit seinen blutigen Opfern schnell als ein psychotischer Witz: „Dann hab ich in Essen gesehen, wie einer vom Polizeipferd niedergeritten wurde und seine Zunge verschluckt hat. Da bin ich aufgewacht, Anfang der Neunziger.“ Das Studium in Hannover mit „netteren Leuten“, der Berufseinstieg – das sind fast allzu klassische Ausstiegsgründe.

Heute ist Dured eine Art Mentor der Ultras. Das sind die neuen Begeisterungssüchtigen in der Tradition des AC Milan, die mit bengalischem Feuer, Dauergesängen, Choreografien und Fahnenmeer die Stimmung in den Bundesligastadien entfachen.

1997 hat Dured die Berliner Ultragruppe „Harlekins“ mitbegründet. Ultras sind kein Klatschvieh, das teure Trikots kauft und sich brav ins neue familienfreundliche Gesamtkunstwerk Fußballbundesliga einfügt. Ultras hassen Sitzplätze, Animation per Stadionsprecher und von Coca-Cola gesponserte Fankonkurrenz. Und einen zerdehnten Spielplan, der nur den Werbeinteressen des Fernsehens dient. Eben eine rebellische Basecapjugendkultur, meint Dured: „Wir geben alles, wir möchten aber, dass ihr genauso alles gebt.“

„Ihr seid Superfans!“, meinte Hertha-Manager Dieter Hoeneß ironietriefend zu den aufgebrachten Ultras, die nach der Niederlage in Bochum vor dem Mannschaftsbus „Stevens und Hoeneß raus“-Chöre intonierten. Zuvor hatten die Fanatiker, meistens euroklamme Azubis um die zwanzig, nur hilfloses Gekicke in Blau-Weiß erlebt, nach sechshundert Kilometern Anfahrt.

Unruhe und Ungeduld, das passt keinem Bundesligakonzern. Denn die Ultras sind auch Romantiker der Leidenschaft – in einem Business, das immer stärker von Bilanzen und Images bestimmt wird. Das linke Bündnis aktiver Fußballfans sieht die Szene als „Grauzone“. Die Untiefe zwischen den Begeisterungswellen, sie liegt nicht in Gewaltausbrüchen, die im Vergleich zur Hoolszene der Neunziger stark zurückgegangen sind. Viele Fankurven sind immer noch ein Reich der rechten Zeichen.

Beim Heimspiel gegen Nürnberg versuchen die Harlekins Stimmung zu entfachen. Mitunter derbes Liedgut erschallt: „Nürnberger Hurensöhne, hört ihr das Gestöhne.“ Dann tönt es zurück: „Asylanten!“ Zwei Harlekins drehen sich um und sehen einen mit einem recht arischen Profil, ein Gruß an den Archetyp deutscher Landser – oder an eine gleichnamige rechtsradikale Band. Die Ultras lachen: „Die Barnimer, die Rechten, die Nazisäue!“ Die weiß-blauen Volksgenossen dürfen aber im Block bleiben – solange sie nicht durch Extreme auffallen.

Banane bezeichnet diesen Habitus als „mittig“. Wie das vielbeschworene rechte Stammtischdeutschland, das sich durch Abweichungen verortet. Und bloß Zeichen produziert? Jugendkulte zeigen ihre politische Position wie auf einem Thermometer, das Kontexte addiert. Zu einem Outfit gehören Slogans, Ideologie und Riten der Abgrenzung, die sich radikal unterscheiden: Gleichgültigkeit, aber auch Hass und Gewalt. Die Ultras sind, so gesehen, die Zeichenproduzenten des Extremismus der Alten Mitte. Sie pflegen einen Proletenkult, der sich auch aus den trotzigen Ressentiments der Verlierer speist.

So tobt im Stadion nebenbei eine Travestie der Working Class Culture. Etwa wenn der junge Ultra, meist ein angehender Facharbeiter, von den Profis auf dem Rasen harte Arbeit wie in der Fabrik verlangt. Und dabei heftig abfeiern will, natürlich jenseits der gehassten Fananimationen à la Club Med. Eben das Ambiente der Neuen Mitte, des Wunschpublikums auf der Haupttribüne. Hier sitzen die Luxus-Uschis mit rosé getönten Tropfenbrillen und Havannarauchern im Schlepptau. Hundert Meter Luftlinie entfernt brüllt der Ultra nach seinem Lohn für „Dauersupport“ und Dispokredit: ehrlichem Spaß und Kampf – mit dezent viriler, lokalpatriotischer bis nationaler Note.

Von rechten Sprüchen und Attacken auf Minderheiten distanzieren sich Harlekins offensiv. Dennoch entsteht eine Grauzone, die gerne mit Political Incorrectness kokettiert. Okay ist, wenn zu einer Melodie der rechtsextremen Band Landser neue Strophen erklingen, wenn aus „die Fahne des Ku-Klux-Klans“ die des „Hertha-Klans“ wird. Aber: „Hitlergrüße und ‚Jude‘-Rufe unterbinden wir sofort!“

Dured El Rifai hat sich verwandelt, vom Spree-Randaleskin in einen moderaten Ultra und Realschullehrer. In der Hochhaussiedlung Gropiusstadt – seine Mutter arbeitete im öffentlichen Dienst, der syrische Vater war Ingenieur –, begann seine Geschichte. Und „eine Zeit lang arbeitslos“. Darum hat Dured auf das weiß-blaue Trikot warten müssen: „Meine Eltern hatten nicht viel Geld.“ Damals, in den frühen Achtzigern, stürzte Hertha immer tiefer: Abstieg, Skandale, nur fünftausend Zuschauer im Olympiastadion, und westdeutsche Fans riefen: „Wir schenken Berlin der DDR.“ Dann die Gegensprechchöre: „Zyklon B für die BRD!“

Und vielleicht hat ihn auch ein besonderer Ehrgeiz zum blau-weißen Underdog geführt: „Ich wollte mich immer besonders deutsch verhalten.“ Schon seine Eltern hätten besonderen Wert auf gutes Deutsch gelegt, die El Rifais wollten wie ihre Nachbarn sein: „Der Name war schon Unterscheidung genug, wir sind also nicht mit Saris rumgelaufen oder mit Kapuzen.“ Und Fußball, Olympiastadion, Hertha BSC – das klingt gar nicht so undeutsch.

Als Dured mit zwölf Jahren Herthaner wurde und trotzdem manchmal Hass gespürt hat, da hat er seine Umtaufe genutzt. Denn Vitamin B hat ihn immer ins Olympiastadion begleitet: „Meine Mutter hat mir beim Fußball immer Bananen mitgegeben.“ Später haben die Anrufe seiner Kumpel seine Mutter irritiert: „Banane? Warum sagst du nicht deinen richtigen Namen?“

Heute lehnt Dured rechtsradikale Sprüche ab, als „gemäßigt Konservativer“. Rechts von der Neuen Mitte. Und Lehrer, na ja, nur am Anfang sei das nicht sein Traumberuf gewesen: „Ich glaube, es ist die beste Möglichkeit, Jugendlichen vorzuleben, wie man Spaß haben kann. Ich denke, Toleranz, Pünktlichkeit, Fairness, Ordentlichkeit kann man am besten vorleben.“

Und das ist wohl der klassische Satz des deutschen Lehrers mit konservativer Grundierung. Und vielleicht hat seine blau-weiße Manie einen weiteren Nebeneffekt gehabt. Denn ein Deutscher zu werden, das funktionierte für ihn auch über das Berlinerwerden. Mit dem einstigen Kellerkind Hertha, das von den westdeutschen Fans verachtet wurde. Und einer nichtdeutschen Staudenfrucht.

PETER KESSEN, 39, lebt als freier Reporter im Berliner Bezirk Neukölln