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Archiv-Artikel

Die letzte Sitzung der glorreichen Sieben

Oder: Das Opfer von Bremen. Ein Dramolett aus gegebenem Anlass

Ähnlichkeiten mit noch lebenden Personen sind nicht vorhanden, auch nicht mit den Mitgliedern des Bremer Senats. Es treten auf: Henning, Tine, Papaperschau, Joseph Zackig, Willi Lustig, Kunöse und Kröpke.Die Szene: In der Mitte ein runder Tisch, an einer Stelle mit einer halbkreisförmigen Ausbuchtung versehen, darauf sieben Magnum-Flaschen Champagner. Die Wände sind mit bräunlich gemusterter Seide bespannt, von der Decke baumelt ein Modell der Senatsbarkasse. In der Ferne leiser Gesang.

Chor (langsam näher kommend): Sieben Senatoren woll’n wir sein, siehiehieben!

Lustig dirigierend betritt Henning den Saal, hinter ihm im Gänsemarsch fünf WürdenträgerInnen.

Henning: Da sind wir, meine Lieben.(alle setzen sich)

Henning: Acht Jahre große Konfusion, das is doch was. Das soll uns erstmal jemand nachmachen!

(Betretenes Schweigen)

Willi Lustig (diskret einen Lappen von Hennings Ohr zu sich ziehend, im Flüsterton): Koalition, Henning, wir sind doch die K-o-a-l-i-t-i-o-n.

Henning (schaut nachdenklich vor sich hin, dann macht sich ein seliges Grinsen auf seinem Gesicht breit): Ja ja, ganz recht, mein ich ja: Wir sind alle Brüder und Schwestern – (plötzlich zornig) bis auf Hermann, das grüne Arsch.

(Tine tätschelt ihm beruhigend den Arm)

Henning: Na, den bin ich jetzt los, der kann mir mein Bremen nicht mehr vermiesen. In diesem Sinne: Hoch die Tassen. Was steht sonst noch auf der Tagesordnung?

Papaperschau: Das mit dieser Sanierung. Da müssen wir uns noch was einfallen lassen.

Henning (schmollend): Och, immer die ollen Kamellen. Warum hast du das noch nicht geregelt? (droht ihm mit dem Finger)

Papaperschau (etwas zerknirscht): Dafür hatte ich die tolle Idee, dass wir uns vor der Wahl gegenseitig „interviewen“ und das dann irgendwo drucken lassen. Henning (schon wieder versöhnt): Ja, das war ein schönes Gespräch, so unter uns Bürgermeistern. (alle nicken zufrieden) Henning (jovial): Komm, Willi, pack mal deine Figuren aus, wir üben ein bisschen. (Willi Lustig breitet einen kleinen Fußballrasen über den Tisch und verteilt grünweiße Spieler) Kröpke: Tss, Jungs. Immer nur Fußball im Kopf. Tine: Das musst Du verstehen, da geht’s um was. Wenn Willi beim Tippkick gewinnt, lässt Henning ihn schon vor 2006 Bürgermeister werden. Papaperschau: Jetzt mal unter uns Klosterbrüdern ... (im Hintergrund Tine: Schwestern, Schwestern – Kröpke knufft ihr solidarisch in die Seite) ... das mit der Kulturhauptstadt ist ja gut und schön. Aber zum Sanieren brauchen wir was Handfestes. Zackig (zackig): Ich hätte da was. Die „Körperwelten“! Leichenshow von Udo Lindenberg!Tine: Iiiihhh!

Kröpke: Wieso? Ich find den süß. Außerdem wär’ das ein prima Referenzprojekt im Sinn der Kulturhauptstadt. Die Ausstellung ist schon weltweit gelaufen, damit erfüllen wir locker die europäische Dimension.Willi Lustig (flink von seinen Tippkickfigürchen aufblickend): Das ist gut, das ist gut! Präparierte Körper – da hab ich gleich meine Wissenschaft mit untergebracht. Henning (mit angewidertem Unterton): Aber muss ich die dann alle umarmen?(Schweigen. Tine tupft ihm vorsichtig den Schweiß von der Stirn, wischt sich dann selbst übers Gesicht) Kröpke (beruhigend): Nein, Henning, musst du nicht, die können dich nicht mehr wählen.Tine (aufmunternd): Aber vielleicht kriegst du trotzdem noch Lust. Henning (mürrisch): Der mit dem Hut heißt aber Hagens, nicht Lindenberg. Tine (langsam erregt): Versteh’ doch, Henning, „Körperwelten, die Faszination des Echten“! Nichts mit Raketenattrappen und so’m Schrott. Papaperschau: Und wir wären mal wieder Vorreiter in Sachen Entertainmentinnovation (zwinkert Zackig über den Tisch zu) Zackig: Mein Herr Göbel-Göbel hat da in der Tat enorme regionalwirtschaftliche Effekte zusammen gerechnet – ihr wisst schon, nach dieser fabelhaften Alles-Hoch-Zehn-Formel. (bewunderndes Raunen in der Runde) Und Kollege Haar-Haar schlägt vor, dass wir die Stadthalle noch ein bisschen stärker anheben und endlich den alten Geheimplan mit der Zwischendecke in Angriff nehmen. Dann macht das, Moment (kramt seinen Rechenschieber aus der Aktentasche), doppelt so große Ausstellungsfläche mal doppelt so viele Leichen pro Besucher, multipliziert mit dem exponentiell gestiegenen Medienwert (die Kügelchen flutschen ihm immer schneller durch die knochigen Finger), also: unwahrscheinlich, wie uns das wieder saniert!

(krachend springt der malträtierte Rechenschieber auseinander. Zackig fegt achtlos die Reste vom Tisch und stößt mit den anderen an. Allgemeines Geproste. Zackig lehnt sich zufrieden zurück.)(längere Trinkpause) Zackig (vor sich hin summend): Tausend Leichen sollten reichen ... (kichert, wendet sich zu Henning, der mit konsterniertem Gesichtsausdruck dabei sitzt) Ach komm, Scherfi, alter Rohrverleger – du hast doch auch noch ’n paar Leichen im Keller, die Du beisteuern könntest.Henning (distinguiert): Sehr witzig. (Schweigen) Papaperschau: Ich finde schon, dass wir da etwas Lokalkolorit reinbringen müssten. Gerade unter dem Aspekt Bewerbung zur Kulturhauptstadt. Kröpke (eifrig): Wir könnten ja unsere Schätzchen aus dem Bleikeller zerschneiden – oder fällt euch was besseres ein? (Herein ein Senatsdiener)Senatsdiener: Ähem, Herr Präsident. Da begehrt einer Einlass. Henning: Fehlt denn wer? Ich vermisse gar niemand. (Polternde Schritte, Kunöse betritt den Saal)Kunöse: Tschuldigung, ich musste noch nach Hannover – aber da brauchen sie immer noch keinen neuen Innenminister.

(Indigniertes Schweigen) Kunöse (unverdrossen fortfahrend): Kleiner Scherz meinerseits, nichts für ungut. Henning: Also, zurück zur Tagesordnung. Kunöse (setzt sich ein Glas Champagner an die gespitzten Lippen): Bah, wo habt Ihr denn die Plörre her? Etwa aus Eurem ollen Ratskeller? Ick will liba ’ne Berliner Weiße.

(beleidigt faltet Kunöse die Hände über dem Bauch, die anderen stoßen an) Kröpke (angeschickert): Henning, warum trinkst du denn gar nichts? Bist doch unser bestes Stück! Henning (würdevoll in die Runde blickend): Heute ist ein islamischer Feiertag. Da trinke ich nur mäßig Alkohol. (Kunöse grunzt verächtlich, woraufhin ihn Hennings tadelnder Blick trifft) Henning: Auch Du, mein lieber Thomas, solltest Dir die Lebensweise unserer andersgläubigen Mitbürgerinnen und Mitbürger zu eigen machen. Kunöse (grummelnd zu Seite): Immer nennt er mich Thomas, nur weil ich mir so eine praktische Ausbuchtung in den Tisch gesägt habe. Zackig: Zur Sache! Körperwelten! (blättert in seinen Unterlagen, liest vor): „Mehr als 20 Körper in verschiedenen Stadien, überdies rund 200 gesunde oder krankhaft veränderte Organe sowie zahlreiche millimeterdünne Scheiben, aus Kopf, Rumpf und Extremitäten geschnitten ... zog während weniger Monate hunderttausende von Besuchern an“ – das sind Fakten, meine Herren!

Kunöse: So schönes Material krieg’ ich von meiner Verwaltung nie. Die sollte man auch alle plastinieren.

(die anderen wechseln vielsagende Blicke)

Tine (tuschelnd): Wenn wir den Dicken gleich mitverwursten, können wir die Kultur endlich ganz zwischen Zackig und Hoffmännchen aufteilen.Kunöse (böse): Ick habe alles jehört, du olle Zicke. Henning (plötzlich autoritär): Die Diskussion wird mir jetzt zu anstrengend. Wir plastinieren uns einfach alle – vorausgesetzt natürlich, ich kriege den höchsten Sockel. Sonst leg’ ich mich allein in den Bleikeller, verstanden?(alle ducken sich)Papaperschau (nachdenklich, sich mit der angefeuchteten Hand übers Haar streichend): Aber ob die meinen Scheitel so akkurat hinkriegen?Tine: Henning, du machst doch auch in Justiz. Können wir nicht welche aus’m Gefängnis nehmen?Kröpke: Die auswärtigen Leichen sollen doch auch aus russischen Knästen sein.Kunöse: Stimmt, das sind alles illegale Einwanderer! Tot oder lebendig, die kommen mir nicht nach Bremen.Zackig (doziert wieder aus seiner Vorlage): „... auch herrenlose Leichen von Behörden wie dem Sozialamt ... Die Motivation der Körperspender ist so vielfältig wie das Leben.“

Henning: Genau, und in meinem über vierzigjährigen politischen Leben habe ich gelernt, pragmatisch zu sein – sonst wird mir das zu anstrengend. Also: Wir machen ein Meinungbild, das gilt dann! (plötzlich irritiert) Da fehlt doch einer?

Tine: Willi hat sich verdrückt!

(aus der Ferne ist leiser werdendes Klicken zu hören)

Henning (verägert): So wird der nie Bürgermeister. (besinnt sich, bleckt zufrieden die Zähne) Umso besser, ich lebe jetzt ja ewig, sozusagen. Also: Ich sehe eine breite Mehrheit für meinen Kurs, ihr Lieben.Papaperschau: Und was ist mit meinem Pinscher? Der muss auch mit dabei sein!Tine (schmeichelnd): Dürfen wir wieder Gänsemarsch machen?Henning nickt gütig in alle Richtungen, Abgang der singenden WürdenträgerInnen

Lied (allmählich verklingend): Sieben Senatoren woll’n wir sein, wir werden Bremen saniehieren, und lassen uns dafür plastiniehieren, für Bremen, für Brehehehemen.

Langsam fällt der Vorhang

Nachspiel, Vertonung oder Verfilmung dieses zeitkritischen Einakters nur mit ausdrücklicher Genehmigung der taz nord-Verlagsgesellschaft sowie des Autors (Henning Bleyl)