: Festung Schwösterreiz
Alpenländische Sicherheitsvision: Schorsch Kameruns Spektakel „Macht fressen Würde“ im Schauspielhaus Zürich
Die Goldenen Zitronen haben auf ihrem letztjährigen Best-of-Album zur Volljährigkeit demonstriert, dass ihr Hamburger Politstachelsound selbst in den alternativen Achtzigern dialektisch war. Stilistisch, weil sie mit damals subkulturell Verbotenem wie dem Schlager die eigene Szenespießigkeit im Auge behielten. Inhaltlich, weil auch ein Skinheadmädchen Objekt der Liebe sein durfte.
Schorsch Kamerun, Zitronenhead und Hamburgs heimlicher Subkultur-Subcomandante, verdingt sich mittlerweile als Überflieger in der No-Fly-Zone für Politpunker schlechthin: im Theater. Hamburger Schauspielhaus, Ruhrtriennale, Schauspielhaus Zürich. Und landet dabei, so eine Berliner Bekanntschaft maliziös, ästhetisch zusehends im Berliner Grips Theater, der modellhaften Schaubude der Kinderladenbewegung. Will sagen: Die aufregende Dialektik der Zitronen verwandelt sich im goldenen Käfig des Theaters in allenfalls sympathische Didaktik.
Es spricht eine Verlegenheit aus diesen Einordnungen anlässlich des Spektakels, das Kamerun als Autor, Regisseur und Performer mit „Macht fressen Würde“ im Schauspielhaus anrichtet. Die Verlegenheit, total dafür zu sein (Dialektik! Musik! Politik!) – und doch total dagegen. Was Kamerun aber im Schauspielhaus Zürich mit „Der digitale Wikinger“ noch gelang, stürzt als Kopie nun ab. Im „Wikinger“ wurde ein Traditionstheater neoökonomisiert und gleichzeitig terroristisch unterwandert, in „Macht“ errichtet die Schweiz mit Österreich eine neorechte Diktatur, für deren Brot und Spiele das Wiener Burgtheater den Zuschlag erhält. Ob New-Economy-Ästhetik oder Burgmusical mit rechtspopulistischem Schick: Man sieht sich ähnlich.
Es geht es um die dunkle Allianz mit Namen Schwösterreiz, welche ein sprichwörtlich tierisch fabelhaftes Trio auf dem Zürichsee begründet. Oliver Mallison ist Der Dachs, trägt deshalb einen groben Nadelstreifen und viel Maske im Gesicht. Auch die vorstehenden Zähne vom austriakischen Kutscher hat man Ludwig Boettger backstage verpasst. Und bei der Suche nach Catriona Guggenbühls Oberstuniform muss im Kostümfundus eine spontane Party ausgebrochen sein. Doch das Mastermind wohnt in Frau Amsels Kopf. Oder in ihren dünnen Knien, weil Sylvana Krappatsch die amerikanische Sicherheitsberaterin im herausfordernd engen Zweiteiler geben muss. Schneiderin Marysol del Castillo geht bald noch anders in die Vollen, schließlich muss Kameruns TV-Ballett, die Swiss Quality Dancers, stets flink umgerüstet werden.
Der Brand im Zeichen der Angst und der Sicherheit, im Zeichen der Festung Europa: Das ist auf der Bühne dermaßen schnell erzählt, weil politisch bös banal, dass die ganze Geschichte bald im Theaterbetrieb ankommt. Wir vermuten beim Autor/Regisseur an sich gesunde, weil distanzierende Rest-Berührungsängste vor der Hochkultur, und wir vermuten den für das politische Theater notorischen Zwang zur Analogie. Hier: Böse rechte Politik irgendwie gleich autoritärer Theaterbetrieb. Um die „Endlösung der Kulturfrage“ zu proben, lässt Frau Amsel von Marsmenschen das Wiener Burgtheater einfliegen. Direktor Franzhammer übernimmt aus der dampfenden Kulisse die Leitung des Spektakels zur Gründung der neuen Allianz. Als Starschauspieler fungiert – wie schon im „Wikinger“ – Josef Ostendorf als Claus Bruno.
Das war er schon, zack, der Trick – alles Theater. Aber man muss die Notizen konsultieren, um ihn nicht zu vergessen. Der Rest ist Show, skandiert von besinnlich-kritischen Passagen. Kamerun kreuzt im DJ Falcobobo Alpenpop, Ostendorf albert herrlich in einer Ausschaffungsspielshow, Frau Amsel als Sgt. Heidi rettet die Bedürftigen mit harter Hand, und jede Menge gut abgehangener, touristischer Lokalbezüge tarnen sich als Figuren oder auch nur als kursorische Kalauer. Alles andere ist – je nachdem: wunderbar, seltsam – unerheblich. Kamerun und Kumpane Rocko Schamoni moderieren als sexy Bürgerwehr in Jeansposen, Erobique spielt in einem Pappepanzer Keyboard. Wir sind dafür, wir sind dagegen. Das ist nicht Dialektik, nur ein Dilemma: Premiere schlecht, Party gut, deshalb Premiere auch gut? Schuld ist Erobique, der Saalrocker (danke). TOBI MÜLLER