: Einzelfahrschein in Richtung Knast
Wer arm ist und schwarzfährt, kann im Gefängnis landen. Der Staat lässt sich diese Ersatzhaft richtig viel kosten
Tausende Menschen sitzen jährlich in Berlins Gefängnissen, weil sie dem Staat Geld schuldig bleiben – meist Steuern oder Geldstrafen. 4.282 Häftlinge waren es laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2002. Der Anteil an der Zahl aller Häftlinge liegt damit bei 18,5 Prozent – was im Bundesvergleich ungewöhnlich hoch ist: In ganz Deutschland liegt dieser Anteil gerade mal bei der Hälfte. Ein Großteil dieser Häftlinge sind Schwarzfahrer.
Wird man innerhalb von zwei Jahren dreimal beim Schwarzfahren erwischt, leitet die BVG ein Strafverfahren in die Wege. „Erschleichen von Leistungen“ steht dann in den Akten der Staatsanwaltschaft. Wer kein Geld hat, um die Strafe zu bezahlen, wandert ersatzweise in den Knast. „Ersatzfreiheitsstrafe“ sagen die Juristen dazu. Alternativ kann gemeinnützige Arbeit abgeleistet werden.
Doch nicht jeder ist fähig, diese Arbeit zu leisten, sagt Frank Wilde von der Freien Hilfe Berlin e. V. Ein Projekt der Einrichtung ist es, straffällige Schuldner im Auftrag des Landes an Arbeitsstellen zu vermitteln. „90 Prozent der 1.900 Klienten, die wir jährlich betreuen, sind arbeitslos“, so Wilde. Viele davon seien krank oder alkoholabhängig. Eine Vermittlung an eine der 500 zugelassenen Trägereinrichtungen sei in diesen Fällen oft nicht möglich, betont Wilde. Zudem könnten sich manche Langzeitarbeitslose nicht mehr in den Arbeitsprozess eingliedern. Ein Viertel breche die Arbeit ab. Die Folge: Ein nicht geringer Teil der Schuldner muss hinter Gitter und sitzt die Strafe ab.
Die finanzielle Belastung für den Staat ist enorm. Anstatt Geld einzunehmen, wird Geld ausgegeben. Ein Beispiel: Kann jemand 500 Euro Strafe nicht bezahlen, kommt er bei einem niedrigen Einkommen in der Regel für 50 Tage zu einem Tagessatz von 10 Euro ins Gefängnis. Dieser Gefängnisplatz kostet aber zwischen 80 und 90 Euro am Tag. Um seinen Anspruch ersatzweise durchzusetzen, gibt der Staat also gut 4.000 Euro aus.
„Diese Bestrafungslogik ist eigentlich völlig absurd“, gibt Marcus Ridders von der Freien Hilfe zu bedenken. Manche der Inhaftierten verlören durch die Haft ihre Wohnung oder ihren Job und stünden nach dem Knastaufenthalt noch schlechter da als zuvor, so Ridders.
Wolfgang Kader saß etwa einen Monat in Ersatzhaft. In dieser Zeit verfiel wie bei allen Häftlingen seine Krankenversicherung. Dumm nur, dass seine Tochter bei ihm mitversichert war. Als der Vater mitten in der Nacht von einem Einsatzkommando der Polizei abgeholt wurde, erlitt sie einen psychischen Schock. Medizinische Betreuung blieb ihr verwehrt – die Karte war ungültig.
Als Betreuer von der Freien Hilfe ist es unter anderem Ridders Aufgabe, Häftlinge über die Möglichkeit der gemeinnützigen Arbeit zu informieren. Bezahlt wird er zum Teil vom Land Berlin.
Bei der Senatsverwaltung sei man sich der Problematik durchaus bewusst, so Andrea Boehnke, Pressesprecherin der Senatsverwaltung für Justiz. Justizsenatorin Karin Schubert wolle das Modell der gemeinnützigen Arbeit deshalb ausweiten. Zur Arbeit zwingen könne man jedoch niemanden, so Boehnke.
Ob die Justiz das richtige Mittel sein kann, um gegen mittellose Schwarzfahrer vorzugehen, ist fraglich. Entscheidungen in anderen Bereichen könnten da mehr bewegen, betont Marcus Ridders von der Freien Hilfe: „Den Wegfall des Sozialtickets bekommen wir hier zu spüren.“
DAVID DAUNER