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Archiv-Artikel

Entscheidung in der ersten Biegung

Nach einer Kollision gleich zu Beginn des Boat Race gewinnt der Cambridge-Achter das berühmteste Ruderrennen der Welt – und das auch noch mit dem größten Vorsprung seit zehn Jahren. Im Boot aus Oxford spricht man von „foul“

LONDON taz ■ Gewohnt würdevoll zelebrierte die BBC ihren Abschied: Schlichte, unaufgeregte Musik untermalte die Zeitlupenbilder der Höhepunkte aus sechs Jahrzehnten Boat Race. Sechs Jahrzehnte, in denen der honorige Sender den nicht minder honorigen Ruderwettstreit zwischen Oxford und Cambridge übertragen hatte. Sechs Jahrzehnte, nach denen im kommenden Jahr der sponsorenfreundlichere Privatsender ITV die Berichterstattung übernehmen wird. Als der feierliche Abspann der BBC-Übertragung über den Bildschirm lief, waren für wenige Momente alle Wogen geglättet und die Ereignisse des 150. Rennens mit gebührendem Abstand in größere Zusammenhänge eingeordnet.

Acer Nethercott, Doktorand der Philosophie an der Universität zu Oxford, hatte an diesem Sonntagabend für besinnlich-distanzierte Betrachtungsweisen nichts übrig. Mit deutlicher Verbitterung und bar jeder akademischen Manierlichkeit sprach er offen von einem „foul“ und einem gestohlenen Rennen. Überhaupt fehlte es Nethercott, dem Steuermann des Oxford-Achters, an Abstand. Wäre er nicht gleich zu Beginn des Rennens mit dem Boot aus Cambridge aneinander geraten, dann – da waren sich die Experten einig – wäre es wohl ein ähnlich spannendes Rennen geworden wie im vergangenen Jahr, als Oxford mit einem Vorsprung von einem halben Meter gewonnen hatte. So aber waren Nethercott und die Seinen volle 18 Sekunden nach dem Cambridge-Achter im Ziel eingetrudelt. Über sechs Längen Rückstand bedeuteten die klarste Niederlage eines Bootes seit zehn Jahren. Da half auch kein offizieller Protest. Zumal Schiedsrichter James Behrens keineswegs alleine dastand, als er Nethercotts Auffassung zurückwies, der Cambridge-Achter trage die Schuld an der entscheidenden Kollision.

Doch verständlich war Nethercotts Frust allemal. Denn das Rennen hatte für Oxford erwartungsgemäß gut begonnen. Als technisch vermeintlich überlegene Crew hatten sie den besseren Start hingelegt und sich bald einen Vorsprung von einer halben Länge verschafft. Auch als sich die Boote ein erstes Mal bedenklich nahe kamen, konnten die Dunkelblauen ihre Führung behaupten. Es war die Einfahrt in die erste von drei großen Biegungen der Strecke, die das Rennen dann entschied. Nethercott, mit seinem Boot immer noch knapp in Führung, aber in dieser Kurve der Themse auf der Außenbahn, lenkte früh ein, um den Streckenvorteil des Cambridge-Achters auszugleichen. Dabei gerieten die Boote erneut seitlich aneinander, so nah diesmal, dass die Riemen der nicht weichenden Cambridge-Crew bedrohlich an Nethercotts Kopf vorbeisausten.

Doch es erwischte schließlich nicht Nethercott, sondern den im Bug des Oxford-Achters sitzenden Amerikaner Chris Kennelly, den ein Schlag gegen seinen Riemen aus dem Sitz hebelte. Erst einige Sekunden später konnte Kennelly seine Position wieder einnehmen und weiterrudern. Doch da waren die Hellblauen schon davongezogen. Am Ende der Kurve lag Cambridge um zwei Längen vorn. Damit war das Rennen gelaufen.

Zweifellos verwässerte auch Resignation den tatsächlichen Leistungsunterschied. Im Cambridge-Boot empfanden sie es dennoch als gelungene Revanche. Vor allem das Glück des Breisachers Sebastian Mayer war ungetrübt. „Wir haben uns einfach nicht beirren lassen. Auch nicht durch die Kollisionen. So etwas kann bei diesem Rennen immer mal passieren.“ Und Mayer weiß zu gut, was bei diesem Rennen alles passieren kann: Sein Kollaps kurz vor Schluss, hatte den Cambridge-Achter 2002 den Sieg gekostet. Auch Steffen Buschbacher, der andere Deutsche im Cambridge-Boot, schwenkte freudetrunken die Champagnerflasche. Allein Cambridge-Coach Robin Williams war nicht ganz zufrieden. „So mag man eigentlich nicht gewinnen, und so hätten wir bestimmt nicht verlieren wollen.“

DOMINIK FEHRMANN