SPD UND GEWERKSCHAFTEN SIND INHALTLICH NOCH WEIT AUSEINANDER
: Gut, dass sie mal drüber reden

Immerhin: Jetzt sprechen sie wieder miteinander. Gestern Abend traf sich der neue SPD-Vorsitzende Franz Müntefering im SPD-Gewerkschaftsrat mit der DGB-Spitze – fast ein Jahr nachdem die Vertreter der Arbeitnehmer die Tür zum Gespräch mit lautem Knall zugeschlagen hatten. Damals, im Mai 2003, sagten sie ein Treffen des Gremiums kurzfristig ab. Verständigung sei nicht möglich, erklärte DGB-Boss Michael Sommer knapp, und Ver.di-Chef Frank Bsirske fügte provokant hinzu, für Gespräche mit CDU und CSU sei man durchaus offen.

Inzwischen haben beide Seiten gemerkt, dass ihnen die Strategie der Gesprächsverweigerung schlecht bekommt. Die SPD war von ihrem eigenen Reformprogramm nicht hinreichend überzeugt, um bei den Gewerkschaften offensiv dafür zu werben. Stattdessen agierte sie wie einst der Seefahrer Odysseus, der sich die Ohren mit Wachs versiegeln ließ, auf dass ihn der verführerische Gesang der Sirenen nicht vom klaren Kurs abbringen würde. Anders als der Grieche, der sicher ins heimische Ithaka zurückkehrte, erlitt die SPD allerdings Schiffbruch – und stürzte in den Umfragen auf historische Tiefststände.

Aber auch die Gewerkschaften mussten im zurückliegenden Jahr einsehen, dass sie am Niedergang der rot-grünen Bundesregierung kein Interesse haben können. Die Union, die noch im Wahlkampf 2002 eine Kampagne gegen Sozialabbau führte, vollzog unter der Ägide Angela Merkels einen radikalen Kurswechsel. Kopfpauschale, Steuerreform, Präsidentenkür: Spätestens seit der Nominierung Horst Köhlers dürfte auch dem letzten Gewerkschafter klar geworden sein, dass er von der jetzigen Opposition nichts zu erwarten hat.

Das alles heißt freilich nicht, dass SPD und DGB auch inhaltlich wieder zusammenfinden. Auf die Forderung, Teile der bereits beschlossenen Hartz-Reformen zurückzunehmen, kann die Regierung schwerlich eingehen, ohne den letzten Rest ihrer politischen Glaubwürdigkeit zu verlieren. Und auch die Gewerkschaften sind angesichts der öffentlichen Empörung über den Sozialabbau nicht auf Kompromisse aus. RALPH BOLLMANN