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Archiv-Artikel

Deckmantel Terrorbekämpfung

Werden in der EU Sicherheitsgesetze verschärft, müssen die demokratischen Kontroll-instanzen gestärkt werden – was geschützt werden soll, muss schützenswert bleiben

Die Terrorbedrohung darf unsere freiheitliche Zivilgesellschaft in der Substanz nicht verändern

Aus Brüssel tönen in diesen Tagen Signale der Entschlossenheit: Kommissionspräsident Romano Prodi will seine Mannschaft durch einen eigenen Anti-Terror-Kommissar verstärken und so al-Qaida und Konsorten die Stirn bieten. Die Regierungschefs einigen sich beim Frühjahrsgipfel im Rekordtempo auf einen neuen Maßnahmenkatalog gegen den Terror; dabei ist der Schock des 11. September längst nicht verarbeitet und die damals beschlossenen Maßnahmen sind nicht alle umgesetzt.

Dabei zeigt gerade das Beispiel Brüssel, was wir uns einhandeln, wenn wir als Reflex auf die Bilder aus den Madrider Vorortzügen überstürzt nach dem juristischen kleinsten gemeinsamen Nenner und der gegenseitigen Anerkennung unserer Rechtsnormen rufen: In der EU-Hauptstadt ist ein Stern-Reporter ins Visier der EU-internen Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf geraten. Er soll Mitarbeiter des Amts dazu verleitet haben, Berufsgeheimnisse auszuplaudern und vertrauliche Dokumente auszuhändigen. Seit zwei Jahren sucht die Behörde intern und hat bislang weder die undichte Stelle ermitteln noch Beweise dafür finden können, dass Bestechung im Spiel war.

Doch der Anfangsverdacht reichte aus, die zuständigen belgischen Ermittler in Marsch zu setzen. Sie kassierten sämtliche Akten und führten sich auch sonst recht martialisch auf – Zeugenbefragung à la Belge eben. Denn die besonderen Arbeitsbedingungen von Journalisten, die nur Informationen bekommen, wenn sie möglichen Informanten Anonymität zusichern können, werden in Belgien bislang vom Gesetzgeber nicht extra geschützt. Zwar wird derzeit gerade ein entsprechendes Gesetz durch die Kammern gebracht, aber bis es in Kraft ist, sind die Arbeitsbedingungen für Journalisten in der EU-Hauptstadt deutlich schlechter als in Warschau oder Berlin – eine Anpassung an belgische Standards ist also alles andere als wünschenswert.

Ein weiteres Beispiel bietet der europäische Haftbefehl. Er wird den Bürgern als Geheimwaffe gegen die Bin Ladens dieser Welt verkauft, dabei bedeutet er nichts anderes, als dass auf Anforderung eines anderen EU-Staates ein Verdächtiger ausgeliefert werden muss, ohne dass der ausliefernde Staat die Rechtmäßigkeit des Ansinnens noch einmal nachprüft.

Wenn sich also ein deutscher Demonstrant bei einer Demo in Genua schlecht benommen hat und hinterher zurück nach Hause gefahren ist, muss er den italienischen Behörden überstellt werden, wenn die einen europäischen Haftbefehl ausgestellt haben. Dass die Auffassungen darüber, ob die Beweislage einen solchen Schritt rechtfertigt, in beiden Ländern sehr unterschiedlich sein können, haben die Nachwehen des G-8-Gipfels im Sommer 2001 in Genua, wo Demonstranten wochenlang willkürlich festgehalten wurden, deutlich gezeigt.

Ausgerechnet der deutsche Innenminister, der europaweite Mindeststandards für Flüchtlinge und Migranten im Asyl- und Einwanderungsrecht bislang unter Berufung auf die deutsche Sondersituation blockiert hat, geht nun mit dem Ruf nach europaweiter Rasterfahndung und Ausweisung von Ausländern, die „eine potenzielle Gefahr darstellen“, voran. Da drängt sich der ungemütliche Verdacht auf, dass der EU-weite Raum der Sicherheit und des Rechts aus der jeweiligen nationalen Perspektive nur wünschenswert ist, wenn er den ansonsten innenpolitisch nicht durchsetzbaren Zielen weiterhilft. Terrorismusbekämpfung wäre nach dieser Logik nicht Zweck, sondern Mittel zum Zweck.

Dass bei vielen der neuen Vorschläge Trittbrettfahrer am Werke sind, die unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung durchsetzen wollen, was sie schon lange gern in Gesetze gegossen sähen, hat dieser Tage Statewatch mit einem „Scoreboard“ darzulegen versucht.

Nach Einschätzung dieser Organisation, die sich um Bürgerrechte und individuelle Freiheit sorgt, sind 27 von 57 in der Folge der Madrider Anschläge auf den Tisch gelegten Antiterrorvorschläge im Zusammenhang mit Terrorbekämpfung irrelevant – sie haben nämlich das ständig vorhandene Überwachungsbedürfnis des Staates gegenüber seinen Bürgern oder den Kampf gegen grenzüberschreitende Kriminalität zum Gegenstand.

Der Glaube, man könne nach dem 11. September 2001 oder dem 11. März 2004 weitermachen wie vorher, wäre naiv, auch Statewatch teilt ihn nicht. Alle Maßnahmen, die den Informationsaustausch zwischen den schon bestehenden Diensten verbessern oder bereits gegründete gemeinschaftliche Agenturen wie Europol und Eurojust stärken, bewertet die Bürgerrechtsorganisation als wirksame Antiterrorpolitik.

Sie erinnert aber daran, dass in jeder Krise die Politiker nach neuen Gesetzen, neuen Ausschüssen, neuen Koordinatoren rufen – weil sie mit diesem Aktionismus überdecken wollen, dass die längst geschaffenen europäischen Richtlinien nicht in nationale Gesetze umgesetzt oder die bereits beschlossenen Gesetze nicht konsequent angewandt werden.

Statewatch hat für alle 57 neuen Antiterrorvorschäge Noten verteilt. Neben Datenaustausch und mehr Zusammenarbeit bekommen auch zusätzliche Kontrollinstrumente wie die elektronische Datenbank für Verdächtige und der Austausch von DNA- und Fingerabdrücken viele Antiterrorpunkte. Allerdings bewertet die Bürgerrechtsorganisation auch die Einschränkung persönlicher Freiheit und demokratischer Standards durch diese Maßnahmen als besonders hoch.

Offenbar ist ein EU-weiter Sicherheitsraum nur erwünscht, wenn er sonst nicht durch-setzbaren Zielen hilft

Daraus folgt, dass die Kontrolle im gleichen Maße mitwachsen muss, wie der Datenaustausch auf die übergeordnete politische Ebene wandert. Es kann nicht angehen, dass zum Beispiel die Mitgliedsstaaten der EU im schriftlichen Verfahren Listen von Terrorverdächtigen herumgehen lassen, deren Vermögen dann EU-weit eingefroren werden, ohne dass es eine Instanz gibt, wo die Betroffenen gegen diesen Verdacht Einspruch einlegen und die gegen sie vereinbarten Sanktionen anfechten können.

Wer angesichts der Bilder aus Madrid nach dem starken Staat und der einmütig handelnden Europäischen Union ruft, muss sich über die Konsequenzen im Klaren sein. Was da geschützt werden soll, muss schützenswert bleiben. Die terroristische Bedrohung darf unsere freiheitliche Zivilgesellschaft in der Substanz nicht verändern. Die Bürger müssen wissen, welchen Rechtsregeln sie künftig unterworfen werden, wenn die nationale Gesetzgebung einheitlichen europäischen Rahmenbedingungen untergeordnet wird.

Eine Patentantwort auf dieses Dilemma gibt es nicht. In jedem einzelnen Punkt wird eine Güterabwägung stattfinden müssen. Doch als Generalregel muss gelten, dass die demokratischen Instanzen auf europäischer Ebene – zuallererst das Europäische Parlament – mit der gleichen Entschlossenheit gestärkt werden, mit der nach jeder neuen Krise nachgerüstet wird.

DANIELA WEINGÄRTNER