: Placebo gegen Zorn
Die Wahrheit findet einen Weg, sich durchzusetzen, trotz aller Versuche, sie zu verschleiern. Verzerrung kann sie nur für eine Weile vom Weg abbringen. Doch die Gefahr liegt darin, dass dies ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr zählt. Die Gefahr liegt darin, dass der Schaden angerichtet ist, bevor die Wahrheit von vielen begriffen wird. Manchmal ist es einfacher, die Fakten zu ignorieren und sich ihren Verzerrungen anzuschließen, die gerade in Mode sind. Wir sehen heute viel davon in der Politik. Und ich sehe viel davon hier im Senat – mehr, als ich je für möglich gehalten hätte.
Was die Situation im Irak angeht, erscheint es mir so, dass das amerikanische Volk wohl dazu verführt worden ist, eine nicht provozierte Invasion in einen souveränen Staat zu akzeptieren, unter dem Bruch lang bestehenden Völkerrechts, unter falschen Vorgaben.
Es gibt reichlich Beweise dafür, dass die schrecklichen Geschehnisse vom 11. September geschickt genutzt wurden, um die öffentliche Aufmerksamkeit von Ussama Bin Laden und al-Qaida, die die Angriffe vom 11. September geplant haben, auf Saddam Hussein zu lenken. Im Vorfeld unserer Invasion in den Irak sahen wir, wie ein Präsident und Mitglieder seines Kabinetts jedes Schrecken erregende Bild nutzten, das sie heraufbeschwören konnten: Bilder von Atompilzen, von vergrabenen Waffenlagern zur biologischen Kriegführung, und von Drohnen, die den Tod durch Biowaffen in unsere größten Städte bringen sollten. Wir waren einer heftigen Dosis von Übertreibungen in Bezug auf die Bedrohung unserer Freiheit durch Saddam Hussein ausgesetzt. Diese Taktik garantierte die sichere Reaktion einer Nation, die noch durch eine Kombination von posttraumatischem Stress und berechtigtem Zorn über die Attacken des 11. September geprägt ist. Es war die Ausnutzung von Angst. Es war ein Placebo gegen den Zorn.
Seit dem Ende des Krieges wurde jede Aufdeckung, die die vorherigen düsteren Behauptungen der Bush-Administration zu widerlegen schien, beiseite geschoben. Doch anstatt auf die widersprüchlichen Hinweise einzugehen, wechselt das Weißen Haus geschickt das Thema. Bislang sind keine Massenvernichtungswaffen aufgetaucht, aber uns wird erzählt, dass dies noch geschehen wird. Unsere teuren und zerstörerischen, Bunker knackenden Attacken auf Irak scheinen genau das Gegenteil von dem bewiesen zu haben, was uns als dringender Grund für den Angriff präsentiert wurde.
Es scheinen sich die Behauptungen von Hans Blix und seinem von Präsident Bush so verhöhnten Inspektionsteam vorläufig bestätigt zu haben. Blix hat immer gesagt, es werde lange Zeit brauchen, um solche Waffen zu finden – wenn sie denn tatsächlich existieren.
Unterdessen ist Bin Laden weiterhin auf freiem Fuß, und Saddam Hussein ist verschollen. Die Administration hat der US-Öffentlichkeit und der Welt wieder und wieder versichert, dass ein Angriff nötig sei, um unsere Bevölkerung und die Welt vor dem Terrorismus zu schützen. Sie hat emsig daran gearbeitet, die Öffentlichkeit zu ängstigen und die Gesichter von Saddam Hussein und Ussama Bin Laden zu verwischen, bis sie praktisch zu einem wurden.
Nach dem Krieg wurde deutlich, dass der Irak keine unmittelbare Bedrohung für die USA darstellte. Geschwächt durch jahrelange Sanktionen, hat der Irak nicht ein einziges Flugzeug gegen uns in die Luft gebracht. Iraks bedrohliche, todbringende Flotte unbemannter Drohnen, von der wir so viel gehört hatten, hat sich in einen einzigen Prototyp aus Sperrholz und Draht verwandelt. Seine Raketen erwiesen sich als veraltet und von begrenzter Reichweite. Seine Armee wurde mit Hilfe unserer technologischen Überlegenheit von unserern gut trainierten Truppen schnell überwältigt.
Derzeit setzen unsere treuen Truppen ihren Auftrag fort und suchen unablässig nach Massenvernichtungswaffen. Bislang haben sie aber nur Dünger, Staubsauger, konventionelle Waffen und gelegentlich ein vergrabenes Schwimmbad gefunden. Sie werden für diesen Auftrag missbraucht und gehen weiterhin ein großes Risiko ein. Der Rummel um Massenvernichtungswaffen im Irak, den das Bush-Team als Rechtfertigung für eine präemptive Invasion initiiert hat, ist mehr als peinlich geworden.
Dies hat einige Fragen aufgeworfen über Tatsachenverdrehungen und rücksichtslosen Machtgebrauch: Wurden unsere Truppen unnötigerweie gefährdet? Wurden ungezählte Zivilisten getötet und verletzt, obwohl der Krieg nicht wirklich notwendig war? Wurden die amerikanische Öffentlichkeit und die Welt vorsätzlich irregeführt?
Was mich noch mehr erschaudern lässt, ist die fortgesetzte Behauptung, wir seien „Befreier“. Dabei scheinen die Fakten nicht dem Titel gerecht zu werden, den wir uns so euphemistisch selbst verliehen haben. Es ist wahr: Wir haben einen brutalen, verabscheuungswürdigen Despoten entthront. Aber „Befreiung“ schließt mit ein, dass darauf Freiheit, Selbstbestimmung und ein besseres Leben für die breite Bevölkerung folgen. Wenn die Situation im Irak das Ergebnis von „Befreiung“ ist, dann haben wir die Sache der Freiheit um 200 Jahre zurückgeworfen.
Trotz unserer hochtrabenden Ansprüche eines besseren Lebens für das irakische Volk ist das Trinkwasser rar und oft faulig, Strom gibt es nur gelegentlich, Nahrung ist knapp, Krankenhäuser sind übervoll mit Verwundeten und Versehrten, historische Schätze der Region und des irakischen Volkes sind geraubt, und nukleares Material wurde weiß Gott wohin verteilt – während US-Truppen den Befehl hatten, zuzusehen und den Ölnachschub zu bewachen.
Derweil werden lukrative Verträge für den Aufbau der irakischen Infrastruktur und zur Instandsetzung der Ölindustrie ohne Ausschreibung an Kumpane der Administration vergeben. Kein Wunder, dass die wahren Motive der US-Regierung weltweit Gegenstand von Spekulation und Misstrauen sind.
Und was möglicherweise die schädlichste Entwicklung ist: Die USA scheinen den Ruf Iraks nach Selbstverwaltung beiseite zu schieben. Das lächelnde Gesicht der USA als Befreier nimmt schnell den finsteren Blick eines Besatzers an. „Regimewechsel“ im Irak bedeutet bislang Anarchie – nur gezügelt durch eine Besatzungsmacht, die der Frage ausweicht, ob und wann sie das Land verlassen wird.
Freiheit und Demokratie können nicht zwangsweise, vor den Gewehrläufen einer Besatzungsmacht verabreicht werden. Wir müssen innehalten und nachdenken: Wie konnten wir so unglaublich naiv sein? Wie konnten wir erwarten, einfach die Kultur, die Werte und die Regierungsform der USA in ein Land zu verpflanzen, das so zerrissen ist von Religions-, Territorial- und Stammesrivalitäten, so argwöhnisch gegenüber den US-Motiven und so tief im Konflikt mit dem Materialismus, der den Westen prägt?
Wie so viele gewarnt haben, bevor die Bush-Administration ihren Krieg gegen Irak begann, gibt es Hinweise, dass unser Eingreifen im Irak wohl tausend neue Bin Ladens dazu bringen wird, weitere Gräueltaten zu planen wie jene, die wir in den vergangenen Tagen erlebt haben. Statt den Terroristen zu schaden, haben wir ihnen neuen Treibstoff für ihre Wut gegeben. Wir haben unsere Aufgabe in Afghanistan nicht beendet, weil wir so gierig waren, Irak anzugreifen. Jetzt sieht es so aus, als wäre al-Qaida mit aller Macht zurückgekehrt. Wir haben möglicherweise den Mittleren Osten destabilisiert, eine Region, die wir nie richtig verstanden haben. Und wir haben uns von Freunden rund um die Welt entfremdet mit unserem heuchlerischen und hochmütigen Beharren darauf, ehemalige Freunde zu bestrafen, die die Dinge nicht ganz so sehen wie wir.
Diplomatie und Vernunft werden leichtfertig preisgegeben, um ersetzt zu werden durch Gewalt, Unilateralismus und Bestrafung. Mit Entsetzen habe ich zur Kenntnis genommen, dass die Bush-Administration die neue türkische Regierung beschimpft, weil diese ihre Angelegenheiten im Einklang mit ihrer Verfassung und ihren demokratischen Institutionen regelt.
Zudem könnten wir einen neuen internationalen Rüstungswettlauf ausgelöst haben, weil Länder nun mit der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen voranschreiten als letzten Versuch, einen möglichen präemptiven Schlag der kriegerischen USA abzuwehren – einer Nation, die das Recht für sich beansprucht, zuzuschlagen, wo es ihr gefällt. Tatsächlich gibt es wenig, was diesen Präsidenten einschränkt. Der Kongress hat in einer Entscheidung – die als seine unglücklichste in die Geschichte eingehen wird – auf absehbare Zeit seine Macht, Kriege zu erklären, aus der Hand gegeben und damit den Präsidenten ermächtigt, Krieg nach seinem Belieben zu führen.
Als wäre dies noch nicht schlimm genug, zögern Mitglieder des Kongresses, sich aufdrängende Fragen zu stellen: Wie lange werden wir den Irak besetzen? Wir hatten schon harte Auseinandersetzungen über die Anzahl der Truppen, die benötigt werden, um die Kontrolle zu bewahren – was ist die Antwort? Wie viel werden die Besatzung und der Wiederaufbau kosten? Niemand hat uns bislang eine eindeutige Antwort gegeben.
Wie können wir uns diesen langjährigen massiven Einsatz leisten und gleichzeitig zu Hause den Terrorismus bekämpfen, eine ernsthafte Krise des Gesundheitssystems anpacken, uns gigantische Militärausgaben leisten und Milliarden als Steuersenkungen verschenken – all dies inmitten eines Haushaltsdefizits, das auf über 340 Milliarden Dollar allein für dieses Jahr gestiegen ist? Doch wir kauern im Schatten, während immer mehr falsche Behauptungen verbreitet werden. Wir akzeptieren fadenscheinige Antworten und wacklige Erklärungen, weil es schwer ist, die Wahrheit einzufordern. Oder unpopulär. Oder politisch kostspielig.
Das amerikanische Volk ist geduldig. Aber es gibt eine Grenze. Wenn es darum geht, amerikanisches Blut zu vergießen – wenn es darum geht, Chaos unter Zivilisten zu bringen, unter unschuldige Männer, Frauen und Kinder, ist gefühllose Heuchelei nicht akzeptabel. Nichts ist diese Art von Lüge wert – nicht Öl, nicht Rache, nicht irgendjemandes Wiederwahl, nicht jemandes großer Traum einer demokratischen Dominotheorie.
Denken Sie an meine Worte: Die kalkulierte Einschüchterung wird die rechtmäßige Opposition in diesem Land nur für eine begrenzte Zeit ruhig stellen. Denn letztendlich wird die Wahrheit an die Oberfläche kommen – wie sie es immer tut. Und wenn sie es tut, wird dieses Kartenhaus, gebaut aus Betrug, zusammenfallen.
Übersetzung: Eric Chauvistré