: Ertrinken in den Gardinen des Todes
Umweltschutzorganisationen befürchten das Aussterben der Schweinswale in der Ostsee. Fischerei mit Treibnetzen sowie Kiesbaggerei auf dem Meeresboden und Offshore-Windanlagen bedrohen Bestand der einzigen heimischen Walart
von sven-michael veit
Vor der Ausrottung des Schweinswales in der Ostsee haben mehrere Umweltschutzorganisationen eindringlich gewarnt. In Fischnetzen verenden jährlich „mehr Wale als geboren werden“, konstatierte die Meeresbiologin Petra Deimer, Vorsitzende der Gesellschaft zum Schutz der Meeressäugetiere (GSM), gestern in Hamburg. Der Artentod vor der deutschen Küste sei nur noch eine Frage der Zeit: „Die Bestände können das nicht überleben.“
Zusammen mit dem Naturschutzbund (Nabu) und dem Meeresschutzverein Deepwave stellte Deimer die Ergebnisse von Schweinswal-Sichtungen in der westlichen Ostsee vor. Zwischen Rügen und den dänischen Inseln wurden danach im vorigen Jahr 721 Sichtungen eines oder mehrerer Tiere nachgewiesen. Die Gesamtanzahl der einzigen heimischen Walart sei damit „nicht exakt hochzurechnen“, räumte Deimer ein, dürfte aber „unter 1.000“ liegen.
Die GSM hatte in einer großflächigen Aktion Segelvereine im gesamten Gebiet der westlichen Ostsee um Berichte über Begegnungen mit Schweinswalen gebeten. Aufgrund der eingegangenen präzisen Zeit- und Positionsangaben wurde in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) so die bislang verlässlichste Übersicht der Schweinswal-Population erstellt.
Demnach liegen die wichtigsten Vorkommen der zu den Delfinen zählenden Kleinen Tümmler im Seegebiet zwischen Fehmarn und Fünen. Die größten Populationen wurden in der Inselwelt der „dänischen Südsee“ sowie im Kleinen und Großen Belt nachgewiesen. „Die Tiere konzentrieren sich dort, wo sie gute Lebensbedingungen haben“, interpretiert Deimer die Zählungen. Diese Lebensräume kämen deshalb vorrangig als Schutzgebiete in Frage.
Und diese sind bitter notwendig, um das Überleben von Flippers kleinen Vettern zu sichern. In der Nordsee ertrinken jährlich mehrere Tausend Schweinswale als „unnützer Beifang“ in den bis zu 21 Kilometer langen Treibnetzen der industrialisierten Fischerei, genauere Zahlen sollen in wenigen Wochen vorgestellt werden. Noch schärfer ist die Situation in der Ostsee: Ende März beschlossen die Fischereiminister der EU gegen das Votum Deutschlands, das angestrebte Verbot der Treibnetzfischerei auf das Jahr 2008 hinauszuschieben. Im Atlantik und im Mittelmeer sind diese „Gardinen des Todes“, wie Meeresschützer die Treibnetze nennen, bereits seit 2002 verboten.
Als „Todesurteil“ wertet Jochen Lamp vom World Wide Fund for Nature (WWF) den EU-Beschluss. „Vermutlich nur noch 100“ Schweinswale würden in der östlichen Ostsee zwischen Rügen und Finnland leben, bereits der jährliche Beifang von drei bis vier Tieren würde „das Aus der Population bedeuten“.
Gefährdet sind die Kleinwale zudem durch die Zunahme von Schmutz und Lärm in den Meeren. Erhebliche „Vergrämungen in einem Umkreis von bis zu 15 Kilometern“ hat Claus Mayr vom Nabu beim Bau des Windparks „Horns Rev“ in der Nordsee vor der dänischen Stadt Esbjerg festgestellt. Auch bei solchen Anlagen dürften, so Mayr, „die EU-Vorschriften zum Artenschutz in den Umweltverträglichkeitsprüfungen nicht vernachlässigt werden“.
Auch Pläne, die Förderung von Kies und Sand in Nord- und Ostsee zu verfünffachen, stößt auf den Widerstand der Meeresschützer. Muscheln, Krebse oder Fischlaich, den die riesigen Saugbagger verschlingen, haben keine Überlebenschance, weiß Meeresbiologe Onno Groß von Deepwave. Dann droht dem Schweinswal nicht mehr nur das Ertrinken in Netzen, sondern der Hungertod.
Weitere Infos: www.gsm-ev.de, www.Nabu.de, www.deepwave.org, www.wwf.de, www.bsh.de.