Layout als Verbrechen

Achtung: „Das neue Bremen“ könnte für die erste Kooperation des Doell-Verlags mit der Blindenmission gehalten werden. Das ist falsch. Wie fast alles an dem Bildband

Es war Notwehr. Wirklich. Die Schere lag halt da – und das Buch. Tja, dieses Buch. Das neue Bremen heißt’s, mit großsprecherischem bestimmtem Artikel, aber da Schwamm drüber. Erschienen bei Doell, tadellos gebunden und tolle, tolle Fotos. Brillante Fotos. Sehr schöne Fotos.

Gut, es sind auch langweilige Postkarten dabei, banale mit Zentralperspektive, wie das vom Schütting. Oder ein öder Blick ins Fernsehstudio und ein erzblödes Grinsend-bringt-Scherf-sein-Rad-in-den-Keller-Bild.

Llllecker: Kükenragout!

Aber das ist nicht das Problem: Jedes Buch verkraftet ein paar Durchhänger. Und die Mehrheit der Aufnahmen ist, wie gesagt, brillant. Dass Toma Babovic, Frank Pusch, Michael Jungblut und Tristan Vankann ihr Hand- beziehungsweise Kunstwerk vorzüglich verstehen, ist bekannt: Fabulös der per Panorama-Kamera eingefangene „Lichtbringer“ überm Eingang zur Böttcherstraße, poetisch wie ein Musik-Clown der einsame Geiger in der leeren Glocke. Hübsch auch der Damen-Small-Talk auf der Fahrradbürgermeisterseite anlässlich des – ja was ist da überhaupt zu sehen? Und was verbindet es mit der dusseligen Kutsche? Der Text auf derselben Seite schwärmt – lllecker! – vom Kükenragout in Grashoff’s Bistro, Weinfässern und Fassweinen und gibt vor, das Thema „Identität zwischen Karneval und Schaffermahl“ zu behandeln. Aber bei Letzterem, ist zu erfahren, spielen Damen keine Rolle. Also wären die Feingewandeten bei anderem Anlass erfasst. Nur bei welchem? Samba-Fasching? Und was macht der Grinsemeister mit dem Radl unterm Kronleuchter? Rätselhaftes Bremen.

Die Schere ist also im Grunde dem Buch immanent, sie wird mitgeliefert. Sogar dreifach: Text und Fotografien klaffen inhaltlich auseinander. Eine räumliche Trennung gibt’s auch – Bilderklärungen finden sich, wenn überhaupt, etliche Seiten später. Und dann: Das Niveaugefälle! Vielleicht ist es überempfindlich, einem Buch zu misstrauen, das seine Leser mit veronafeldbuschisierender Agrammatikalität empfängt (Dativ, Herr Spitzer-Ewersmann, Dativ!, hätte die Konstruktion mit dem Prädikat „zustehen“ verlangt.) Aber auf zwei Seiten fünfmal die These zu variieren, „die Bremer“ hätten es „nie geschafft“, „ein unbelastetes Verhältnis zu ihrem Fluss zu entwickeln“, um dann in die Behauptung umzuschlagen, „die Liebe Bremens zu seinem Fluss“ habe sich „neu entfachen“ lassen – das riecht nach Rinderwahn. Darüber hinaus: Floskeldeutsch mit schiefen Metaphern. Vom „einst vornehm-hanseatischen Understatement“, heißt’s, sei „keine Spur mehr zu vernehmen“. Richtig ist, dass ihm keine Tonrille zur Verfügung steht auf des Herrn Spitzer-Ewersmanns ausgeleierter Sprachplatte.

Ohne jede Schamschwelle

Verzeihlich? Zumindest wirkt es wie ein Kavaliersdelikt angesichts der Gesamtgestaltung: Warum nur hat man das Blindenhilfswerk mit dem Layout betreut? Wie? Das stimmt nicht? Nanu! Aber kein sehender Mensch könnte je so unpassend und ohne jede Schamschwelle Fotografien zusammenklatschen, die völlig gegenläufige Bildstrategien verfolgen – oder gar den schmerzhaften Biss ignorieren, der sich aus dem Zusammenprall vom Braunrot der Dom-Orgel und abendlichem Orangerot des Schnoors ergibt. Au, tut das weh! Das Buch ist unaufgefordert geliefert worden. Und die Schere lag halt da und glänzte. Maximal war’s Ausschnitt im Affekt. Im Grunde aber: reine Notwehr. bes

Das neue Bremen. Doell, 6,29 Euro