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Archiv-Artikel

Gefreut auf die Arbeit? Pech gehabt!

Für manche war es ein Sprungbrett, für viele ein Training, für alle eine Hilfe, in dieser Gesellschaft ihren Platz zu behaupten – BSHG-19-Stellen für Sozialhilfeempfänger stehen vor dem Aus. Drei Porträts von Menschen, denen diese Stellen viel bedeuten

Michaela Schlüter ist bedient. Aber sie bewahrt Haltung. „Veräppelt“ komme sie sich durchaus vor – zu drastischeren Äußerungen aber lässt sie sich nicht hinreißen. Dabei hätte sie allen Grund dazu. Michaela Schlüter hätte morgen ihre BSHG-19-Stelle antreten sollen. Hätte. Zugesagt war es ihr – als die 32-Jährige vor zwei Monaten bei der Beschäftigungsintiative Quirl als Küchenhilfe begann, tat sie es „auf blaue Karte“ – als Sozialhilfeempfängerin, die sich täglich fünf Euro dazuverdient. Aber Quirl-Leiterin Regine Geraedts hatte ihr die BSHG-19-Stelle ab 1. April zusagen können. Am Montag nun musste Geraedts Michaela Schlüter und rund 20 weiteren Frauen mitteilen, dass es in Bremen ab sofort keine BSHG-19-Stellen mehr gebe – denn dieser Vorschlag aus dem Sozialressort liegt dem Koalitionsausschuss auf dem Tisch, wenn er am 2. April über den Haushalt brütet. BSHG-19-Stellen sollen Sozialhilfeempfänger ein Jahr lang beschäftigen, ihnen so den Weg in den ersten Arbeitsmarkt ebnen und zugleich die Kommune entlasten, denn für diese Menschen ist nach dem einen Jahr das Arbeitsamt zuständig.

Michaela Schlüter ist Hausfrau und Mutter zweier Kinder. Die gehen jetzt zur Schule, Schlüter hoffte auf den Einstieg ins Berufsleben und auf die Chance einer festen Übernahme in einem Betrieb, in dem sie im Rahmen ihrer Stelle ein Praktikum gemahct häte. „Soviele Möglichkeiten“, seufzt sie, die nun wie eine Seifenblase zerplatzt sind. „Ich warte erstmal ab“, sagt sie und hofft auf ein Wunder. Oder den Koalitionsausschuss.

„Für die Frauen ist es ein Drama“, erklärt Regine Geraedts von Quirl, „denn sie wollen weg von der Sozialhilfe, das ist ihre Hauptmotivation.“ Der Wunsch nach Eigenständigkeit wird jetzt ausgebremst. Besonders bitter sei, dass das Ressort BSHG 19 bis zum Sommer garantiert habe, so Geraedts: „Das ist nicht fair.“ sgi

Kirubakari Seevaratnan arbeitet seit Januar im Internetcafé Eastside in Tenever, betrieben vom Mütterzentrum. Eine Stunde fährt sie morgens von Huchting mit der Straßenbahn, arbeitet auch mal elf Stunden am Stück, weil sie so schlecht besetzt sind. Sie kassiert, schenkt Kaffee aus, hilft bei Problemen. Auf „blauer Karte“, für einen Euro Stundenlohn. Ab morgen, so war ihr gesagt worden, würde sie als BSHG-19-Kraft arbeiten, mehr Geld bekommen und anschließend hätte sie Anspurch auf Arbeitslosengeld gehabt. Sie hatte bereits ihre Unterlagen abgegeben, 32 Euro für ein Gesundheitszeugnis bezahlt und erfuhr dann bei ihrem Geburtstagsfrühstück am Dienstag, dass sie wohl weiter die sogenannte Prämienarbeit machen muss. Dabei geht es ihr weniger ums Geld. „Ich will unbedingt arbeiten – ohne Arbeit kann ich nicht“, sagt die 44-Jährige. „Dann denke ich nicht so viel.“ Vor sechszehn Jahren ist die Tamilin mit ihrer Familie aus Sri Lanka gekommen. Mutter, Vater, Schwester und ihr erster Mann sind in dieser Zeit gestorben. Ihre beiden Kinder sind jetzt erwachsen, ihr zweiter Mann arbeitet nachts in einem Imbiss bei Freunden, für 500 Euro netto. „Etwas anderes hat er nicht bekommen.“ Die Sachbearbeiterin vom Sozialamt sagt, ihr Mann solle sich besser bezahlte Arbeit suchen. Den Job im Internetcafé hatte sie sich selbst organisiert – zum Missfallen der Sachbearbeiterin. Die sagt, sie soll sich bewerben, bei Zeitarbeitsfirmen, Lagerarbeit machen. „Ich will das arbeiten, was ich gut kann“, sagt Seevaratnan. Bis letztes Jahr hatte sie noch zehn Telefonshops in ganz Deutschland, dann ging ihre Vertragsfirma pleite, sie musste Insolvenz anmelden. Davor hat sie bei McDonalds gearbeitet, im Großmarkt. Eine Ausbildung hat sie nicht, nur ihren Realschulabschluss aus Sri Lanka. „In zwölf Jahren habe ich nie Sozialhilfe genommen.“ Jetzt zahlt das Sozialamt nach Hin und Her immerhin die Miete. eib

Andreas Ruschen ist Pädagoge mit erstem Staatsexamen. Da er schon seit längerem von der Sozialhilfe lebt und keine Chance hat, in seinem Beruf im Staatsdienst unterzukommen, hat er sich um eine BSHG-19-Stelle bemüht. „Da muss man sich selbst eine Stelle suchen“, sagt er. Und offenbar viel Phantasie haben: Er hatte Kunst studiert. So war er jetzt zur Universität gegangen, Fachbereich Kunst. Dort konnte er sich einen Arbeitsplatz basteln: Wie die Bilder von Johannes Vermeer van Delft (1632-1675) didaktisch in der Schule vermittelt werden können, dass soll er herausfinden und schriftlich darstellen. Ruschen hat schon lange aus privatem Interesse dieses Thema verfolgt. Zum 1.3. sollte seine Stelle beginnen. Fünf Tage vorher bekam er einen Brief vom Amt für Soziale Dienste, das die BSHG-19-Stellen vermittelt. Es sei eine große Unsicherheit eingetreten, heißt es da, ob die Laufzeit 12 Monate betragen könne – nur das allerdings berechtigt die Stelleninhaber hinterher zum Empfang von Arbeitslosengeld. Das müsse erst geklärt werden, vorher gebe es keine Zusage. „Sie sind nicht der Einzige, bei dem unklar ist, was zum 1.3.2004 nun wirklich wird“, heißt es in dem Brief vom 25.2. formuliert. „Dieser Zustand ist für alle Beteiligten unerfreulich. (...) Ich kann Sie nur bitten, diese Situation auszuhalten.“ Andreas Ruschen hatte Glück: Am 2. März erfuhr er, dass das mit der Stelle ab 1.3. klargeht. Allerdings nur bis 31.12.2004. Vielleicht gibt es noch eine Verlängerung auf die vollen 12 Monate, vielleicht auch nicht. So richtig will er an seine Stelle erst glauben, wenn er das erste Geld auf dem Konto hat, sagt Ruschen: „Ich traue den Behörden inzwischen alles zu.“ Nach 12 Monaten BHSH 19 hätte er den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Wenn die Stelle aber kein Jahr dauert, bekommt er danach das neue Arbeitslosengeld 2 auf dem Niveau der Sozialhilfe – oder er findet eine dauerhafte Stelle. Aber davon geht er nicht aus. kawe