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Archiv-Artikel

Geiers Sturzflug aufs Tempodrom

Der Senat will jedes weitere finanzielle Risiko ausschließen. Ein Insolvenzverwalter muss nun einen solventen Käufer suchen. Stadtentwicklungssenator Strieder, der politische Ziehvater des Zeltes, wurde nicht mehr gefragt. Betrieb geht vorläufig weiter

VON STEFAN ALBERTI

Der Senat lässt das Tempodrom in die Insolvenz gehen. Das sei die einzig jetzt noch vertretbare Lösung, sagten Klaus Wowereit und Finanzsenator Thilo Sarrazin (beide SPD) gestern nach der Entscheidung. Ausschlaggebend sei nicht, dass eine Insolvenz für das Land möglicherweise günstiger ist als ein Verkauf. Vielmehr gehe es darum, sich vor neuen Risiken abzusichern: Allein in den vergangenen Tagen tauchten laut Sarrazin neun weitere, zuvor unbekannte Fragen auf. Leidtragende sind nun Handwerker, die auf Rechnungen über eine Million Euro sitzen bleiben.

„Streng vertraulich“ stand über dem DIN-A4-Zettel, den Sarrazin in den Händen hielt. Ein Szenarienvergleich, der die Kosten der drei Alternativen klären sollte: Verkauf, Pleite oder Weiterbetrieb in Landesbesitz. Unterm Strich stand ein Verlust für das Land zwischen 9,3 und 10,1 Millionen Euro. Denn in jedem Fall wird die Bürgschaft fällig, die Berlin unter der schwarz-roten Koalition im Sommer 2000 für einen Landesbankkredit übernommen hat. Weitere Belastungen will Sarrazin nicht riskieren. Er verglich das Tempodrom mit einem 15 Jahre alten Wagen, der unter frischer Farbe bei ein bisschen Druck mit dem Schraubenzieher ungeahnt große Rostlöcher offenbare.

Laut Sarrazin war es auch die Landesbank, die wegen gestundeter Kreditzinsen auf schnelles Ende drängte. Offenbar so sehr, dass die seit Wochen verschobene Entscheidung über die Tempodrom-Zukunft an einem Tag fiel, an dem der geistige Vater des Kulturzelts nicht mit am Tisch saß. Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD), der sich schon als Kreuzberger Bezirksbürgermeister Mitte der 90er für den Tempodromumzug an den Anhalter Bahnhof stark machte, ist auf Dienstreise in Mexiko. Nein, sagte Wowereit auf die Frage, ob Strieder aus der Ferne seine Meinung geäußert habe, „wir haben ihn auch nicht gefragt.“

Gegen Strieder wie gegen Sarrazin und Wirtschaftsstaatssekretär Volkmar Strauch (SPD) ermittelt die Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit dem Tempodrom wegen Untreue. „Es wird in dieser Sache keine Ruhe geben, bis die Ermittlungen abgeschlossen sind“, sagte Wowereit. Die Zukunft des Kulturzelts liegt damit in den Händen eines noch nicht benannten Insolvenzverwalters. Sein Job ist es, möglichst bei laufendem Betrieb einen Käufer zu suchen. Dank der Insolvenz könnte er auch den Pachtvertrag mit den derzeitigen Nutzern, darunter die Tempodrom-Gründerin Irene Moessinger, kündigen, um so einen besseren Preis zu erzielen. Wowereit und Sarrazin gingen gestern davon aus, dass der Betrieb vorerst weiter geht. Klaus-Dieter Böhm, Betreiber des „Liquidrom“ in dem Kulturzelt, ist sich da weniger sicher. Er wollte das Gesamtgebäude für drei Millionen kaufen und zeigte sich über die Insolvenz-Entscheidung enttäuscht. „Völliges Versagen“ warf er dem Senat vor, der die Handwerker auf offenen Rechnungen sitzen lasse. Auch die Grünen-Fraktion forderte, der Senat solle die offenen Rechnungen der Kleinbetriebe begleichen.

Bislang habe er nicht vorgehabt, dass Tempodrom aus der Insolvenz zu kaufen, sagte Böhm Jetzt schließt er nicht aus, es doch zu tun. Das aber hänge von schnellen Entscheidungen ab: „Wenn die Immobilie verwahrlost, werden wir uns vom Acker machen.“ Sarrazin sagte, er habe keine Anzeichen, dass bisherige Interessenten nicht auch im Insolvenzverfahren bieten würden. Der als weiterer Bieter geltende Unterhaltungsunternehmer Peter Schwenkow war gestern nicht zu erreichen.

Moessinger zeigte sich vergleichsweise entspannt angesichts des Aus für ihr Lebenswerk. „Das ist eine unkluge politische Entscheidung“, sagte sie nüchtern zu der Senatsentscheidung. Über die Zukunft des laufenden Veranstaltungsbetriebs will sie sich am heutigen Mittwoch klar werden, Ergebnisse morgen bekannt geben. „Wir stehen weiterhin für den Betrieb, führen ihn auch gut und wollen ihn aufrecht erhalten.“