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Archiv-Artikel

„Männer wurden Opfer sexueller Gewalt“

Die Soziologin Dubravka Zarkov zum Thema Vergewaltigung von Männern und dessen Tabuisierung in Exjugoslawien

taz: Sie haben hier in Zürich einen Workshop zum Thema vergewaltigte Männer angeboten. Wie sind Sie darauf gekommen, sich damit zu beschäftigen?

Dubravka Zarkov: Ich hatte ursprünglich gar nicht vor, mich damit zu beschäftigen. Das passierte zufällig. Als ich zum Thema Vergewaltigung von Frauen in Exjugoslawien forschte, las ich eine Menge Dokumente von UN- und Menschenrechtsorganisationen, die fact-finding missions nach Bosnien und Kroatien unternommen hatten. In diesen war von Vergewaltigungen von Männern die Rede. Ich hatte zuvor nie etwas davon gehört. Ich fragte mich: Warum nicht? Ich bin doch nicht die Erste, die diese Berichte liest? Warum spricht niemand darüber? Diese Frage beschäftigte mich so sehr, dass ich mehr recherchierte. Ich las Zeitungen und Zeitschriften aus Serbien und Kroatien. In den serbischen Medien waren vergewaltigte Männer kein Thema, in den kroatischen in wenigen Artikeln.

Warum so wenige?

Das fragte ich mich auch. Weil die Gruppe der betroffenen Männer kleiner war als die der Frauen? Niemand konnte mir die Frage beantworten, denn ihre Zahl ist völlig unbekannt. Mir fiel jedoch auf, dass in der kroatischen Presse niemals von kroatischen Opfern die Rede war. Männer fielen im Krieg denselben sexuellen Verbrechen zum Opfer wie Frauen. Sie wurden vergewaltigt, sie wurden kastriert, sie wurden gezwungen, sich nackt auszuziehen, bevor man sie auf ihre Genitalien schlug. In den Artikeln waren meist muslimische Männer die Opfer und serbische Männer die Täter. Dass der kroatische Mann ein Gewaltopfer sein konnte, war anscheinend undenkbar.

Haben Sie auch mit Opfern gesprochen?

Mit Frauen, ja. Aber mit Männern nicht. Ich habe keinerlei empirische Daten darüber, und die Opfer schweigen. Aber ich habe mir die Recherchen anderer Leute in bewaffneten Konflikten von Lateinamerika, Südostasien oder der Türkei angesehen. Das Material zeigt, dass Männer überall Opfer sexueller Gewalt wurden.

Auch in Gefängnissen?

Ja, aber das ist eine spezielle Geschichte, die schon lange bekannt und viel besser aufbereitet worden ist, vor allem von Ärzten und Psychotherapeuten. Alle Fälle, ob in Gefängnissen oder bewaffneten Konflikten, zeigen klar, dass Vergewaltigung kein Akt der Begierde ist, sondern ein Unterwerfungsakt.

Warum ist Vergewaltigung von Männern das Tabu des Tabus?

Weil sie verbunden ist mit den dominierenden Vorstellungen von Männlichkeit. Ein Mann muss fähig sein, sich selbst, seine Familie und sein Eigentum zu verteidigen. Wenn er Opfer von Gewalt wurde, wird seine Männlichkeit grundsätzlich in Frage gestellt. Das Zweite ist, dass in den westlichen Gesellschaften sexuelle Gewalt als Sex angesehen wird. Genauso wie weiblichen, so wird auch männlichen Vergewaltigungsopfern unterstellt, sie hätten Sex mit einem anderen Mann gehabt.

INTERVIEW: UTE SCHEUB