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Im Gestrüpp der Negation: „The Raspberry Reich“ von Bruce LaBruce versteht sich als pornografischer Agitprop, hat aber auch an den V-Effekt gedacht: Die sexuelle Befreiung ist ein Mittel ohne Ziel
VON HARALD FRICKE
Als Genre wird der Pornofilm nur mäßig ernst genommen. Dass in Cannes neben den Palmen jedes Jahr die „Hot d’Or“-Preise vergeben werden, spielt für die Berichterstattung vom Filmfestival keine Rolle. Offenbar hat man sich auf das chinesische Modell geeinigt – ein Event, zwei Märkte. Zugleich weichen die Grenzen der Darstellung allmählich auf, wird bei RegisseurInnen wie Lars von Trier, Catherine Breillat oder Larry Clark nicht mehr an expliziten Handlungen gespart, wenn es darum geht, Fragen der Identität in sexuell ausschweifenden Bildern zu inszenieren.
Umgekehrt sind auch Pornos mittlerweile auf Unterscheidungen aus. Deshalb nutzt Bruce LaBruce für „The Raspberry Reich“ verschiedene Vertriebsmöglichkeiten: als Hardcore-Movie auf DVD und als Arthouse-Film für Programmkinos. Damit verändert sich der Diskurs: Je nach Zielgruppe ist der Film entweder eine als schwule Fleischbeschau montierte Nummernrevue mit einer seltsam kruden Nebenhandlung um Terrorismus und den „Radical Chic“ junger Baader-Meinhof-Epigonen – oder eine trashige Auseinandersetzung über homo/sexuelle Revolution und die Ziele der RAF, bei der zwischendurch immer mal wieder gefickt wird. Dabei sind für Bruce LaBruce feste Kategorien wie Porno oder Politik gleichermaßen fragwürdig. Seine ersten Filme hat er aus Trotz gegen die Schwulenfeindlichkeit innerhalb der kanadischen Punkszene gedreht, mit der er aufgewachsen ist.
In „No skin off my ass“ hat LaBruce mit dem homosexuellen Lifestyle von Skinheads kokettiert, „Hustler White“ war ein wüster Trip vom Straßenstrich in die Modelwelten von Los Angeles. Auch in „The Raspberry Reich“ schafft der Spagat zwischen Provokation und Entertainment viel Platz für karikaturhafte Situationen: Zu Beginn peitscht die selbst ernannte Gruppenanführerin Gudrun ihren Gespielen Holger beim Sex mit Kampfparolen ein, bevor sie im Fahrstuhl zum Höhepunkt kommen; wenig später lässt sich der „Aktivist“ Clyde während der Entführung des Bankierssohns Patrick im Kofferraum des Fluchtautos mit einschließen, um das zwangsweise Schäferstündchen genießen zu können.
RAF-Revival, Coming-out mit Ensslin und Meins, Darkroom und Kidnappingfantasien – alles bleibt symbolisch, schrille Posen im Namen der Revolution. Vor einer überdimensionalen Che-Guevara-Tapete wird mit der Pumpgun masturbiert, als strenge Herrin über ihr „Raspberry Reich“ verordnet Gudrun sehr frei nach Herbert Marcuse eine „homosexuelle Intifada“, zu deren Erfüllung ihre Jünger sich gegenseitig oral befriedigen müssen. Am Schießstand werden Fotos von Condoleezza Rice und George Bush zersiebt, die konspirative Wohnung sieht mehr nach einer stilisierten Probebühne als nach Unterschlupf aus. Dazu passt auch der campe Dilettantismus à la John Waters: Bis auf Susanne Sachsse vom Ensemble der Berliner Volksbühne holpern die aus Schwulen-Pornos gecasteten Darsteller durch ihre Texte, weil LaBruce lieber Laien mag und ansonsten auf die Kraft der Erektion setzt.
Bei aller Bizarrerie im Plot sind daher zumindest die professionell abgewickelten Sexszenen ein Zugeständnis an die Kundschaft. Zugleich stellt LaBruce die Mechanismen bloß, mit denen Bedürfnisse einer vermeintlichen Subkultur befriedigt werden: Auch Schwulsein misst sich nicht an der Abweichung zur heterosexuellen Norm, sondern an der Länge des Schwanzes. Insofern hat der offensive Sex durchaus einen V-Effekt, nicht von ungefähr nennt Bruce LaBruce „Die Chinesin“ von Jean-Luc Godard oder Rainer Werner Fassbinders „Dritte Generation“ als Vorbilder. Bereits in diesen Filmen wurden die coolen Polit-Codes – ob 68 oder heißer Herbst – als Versatzstücke einer konsumistischen Labelphilosophie entlarvt, in der Terrorismus zur gängigen Marke geworden ist. Die Ideologie selbst ist verdinglicht, deshalb ist in „The Raspberry Reich“ die sexuelle Befreiung nicht anders als der bewaffnete Kampf bloß ein Fetisch, nur ein Mittel ohne Ziel.
Diesen Punkt der Aufklärung erreicht LaBruce mit seinem Spektakel ziemlich schnell. Die Entführung von Patrick entpuppt sich als Pleite, weil der Bankier seinen Sohn wegen dessen Homosexualität längst verstoßen hat – so leicht können sich Klasse und Geschlecht in die Quere kommen. Ebenso plötzlich sind damit aber auch die Pläne zum gesellschaftlichen Umsturz gescheitert: Die Gruppe zerfällt, Gudrun schiebt mit Holger einen Kinderwagen in ihr neues bürgerliches Leben; Patrick und Clyde überfallen fortan Vaters Banken; der Rest der schwulen Horde stürzt sich ins Nachtleben, wo Dragqueens zu Techno Punk-Schnulzen singen.
Ist „The Raspberry Reich“ also doch bloß eine Schrullen-Klamotte im Fahrwasser der aktuellen Terrorismushysterie? Oder eine schwul aufgebrezelte Version von Schlingensief? Ähnlich wie bei dessen Antitheater verheddert sich LaBruce mitunter so sehr im Gestrüpp der Negation, dass in der Überzeichnung vom Klischee eines Klischees auch nur ein Klischee übrig bleibt. Dann übt am Ende der frustrierte Che-Fan irgendwo im Nahen Osten für den Dschihad. Homosexuelle Intifada? Eine bessere Steilvorlage hätte sich die derzeitige US-Regierung für ihre Zero-Tolerance-Politik in Sachen Sex gar nicht wünschen können.