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Archiv-Artikel

So eine Schweinerei

Wie kommen zwei Wildschweine am hellichten Tag unerkannt zum Alexanderplatz? Warum werden sie erschossen? Und wem nützt es? Fünf Erklärungsversuche für etwas eigentlich Unerklärliches

von UWE RADA

Die Nahrungssuche: Die Standarderklärung. Die armen Schweine hungern, der Mensch lebt im Überfluss. Der Zehlendorfer BVV-Vorsitzende Klaus Eichstädt (CDU) weiß ein Lied davon zu singen. Eine „Spur der Verwüstung“ würden die Tiere durch seinen Bezirk ziehen, klagt er Jahr für Jahr. Umgegrabene Gärten und umgeworfene Mülltonnen scheinen ihm Recht zu geben. Doch diese Erklärung reicht nicht mehr. Es kann nur einen Grund geben, warum Wildschweine neuerdings zum Alex marschieren: Nach dem Ende der Fondsgeschäfte der Bankgesellschaft leidet ein Großteil der Zehlendorfer unter Armut. Die Mülltonnen sind ebenso leer wie die Mägen. In Mitte dagegen gibt es noch was zu holen. Vor ihrem Tod durch Erschießung sollen die Wildschweine sogar in einer Suppenbar gesehen worden sein.

Die Polizeiversion (I): Seit Dieter Glietsch die Zügel in der Hand hat, gibt es in Berlin keine Bullenschweine mehr, sondern Staatsbürger in Uniform. Doch die Mutmaßung eines Polizeisprechers, die Tiere seien mit der S-Bahn zum Alex gefahren, ist ein Rückfall in finsterste Zeiten. Oder hat jemand schon Schwarzkittel am Fahrkartenschalter gesehen? Hier gibt es keinen Zweifel, hier soll vertuscht werden. Wenn der Polizei schon Wildschweine durchs Netz gehen, wie ist es dann erst mit den unsichtbaren Schläfern von al-Qaida oder anderen Wüstlingen?

Die Polizeiversion (II): Wie kann man Glaubwürdigkeit aufbessern? Die Antwort klingt zwar ein bisschen nach Räuberpistole, aber was tut das nicht. Nach den jüngsten Busentführungen will die Polizei mit dem „finalen Rettungsschuss“ punkten. Bloß: Wie soll man den üben, ohne die ohnehin stark rückgängige Hauptstadtbevölkerung weiter zu dezimieren? Das SEK hatte gestern eine Idee: Die Sau erst in den Bulli laden und dann durchs Dorf, Pardon: über den Alex treiben. Das Setting (Kita, panische Eltern, ratlose Erzieher) tat ein Übriges. Der finale Rettungsschuss gelang – von einem SEK-Schützen in Jägermontur. Denn offiziell dürfen die Staatsbürger in Uniform zwar Busentführer erlegen, aber keine armen Schweine.

Tierschützerpech: In Zehlendorf erzählt man sich noch gerne die Geschichte vom Schwein, das Schwein gehabt hat. Der Förster war schon da, die Flinte im Anschlag. Allein eine Gruppe von 200 Passanten bot der Schweinerei die Stirn und formierte sich zur Menschenkette. Das Gleiche sollte für „Berlin Live“ nun am Alex nachgestellt werden. Pech nur, dass die Passanten dort nicht reagierten. Vielleicht war aber auch Hertha-Manager Dieter Hoeneß vor Ort und trieb das Volk zum Halali. Hoeneß hat nämlich noch eine Rechnung offen. Keine paar Jahre ist es her, da pflügte eine hungrige Wildschweinrotte das frisch beraste Trainingsgelände seiner Mannschaft um.

Die Theaterprobe: Begreifen, was den Menschen zum Schwein macht. Diese Frage treibt Claus Peymann schon seit Kindesbeinen um. Nun stand er kurz vor der Lösung. Der Spielplan war gedruckt, das Premierenpublikum auserwählt. Doch der Reihe nach. Claus Peymann ist bekanntlich nicht nur der Intendant des Berliner Ensembles, sondern, als Randberliner, ein veritabler Wildschweinkenner obendrein. So gut kennt der Peymann die Viecher, dass er sogar ihren G-Punkt entdeckt hat, wie er der Morgenpost einmal verriet: „Wenn Sie ein Wildschwein mit einem Stock an der Kehle kraulen, gucken die, als würden sie sich auf eine gemeinsame Liebesnacht freuen.“

Um eine Liebesnacht ging es zwar nicht bei der gestrigen Generalprobe, wohl aber um das neue Stück „Mensch oder Schwein“, frei nach Holger Meins. Den Inhalt verriet Peymann diesmal der Bild-Zeitung: „Wer Mensch bleiben will, muss mal so richtig die Sau rauslassen.“ Doch daraus wurde nichts. Das Stück muss nun vom Spielplan.