: Rundum informative Ausflüge ins Umland
Die schwarzen Junker
Nach der Wende wurde den LPGs, die sich wider Erwarten umgewandelt hatten, mit dem Kampfbegriff „Rote Junker“ das Überleben vermiest. Auf einer Veranstaltung von LPG-Funktionären meinten diese dagegen: „Alle sagen, der alte Adel kommt wieder – er ist längst da!“. Nach Abschluss des volkseigenen Wald-, Jagd- und Feldverkaufs bzw. der Verpachtung fanden leer stehende Schlösser und Gutshäuser in Brandenburg allerdings auch Interessenten unter nichtadligen Anwälten, Bankern und Immosammlern. Sie werden als schwarze Junker bezeichnet. Eigentlich dürfen sie nicht landwirtschaftlich tätig werden, oftmals ist ihr Land auch zu klein dafür. Wem es jedoch gelingt, genug dazuzupachten, der stellt einen Verwalter ein und gibt selbst – meist zusammen mit seiner bezaubernden jungen Ehefrau – nur an den Wochenenden den schwarzen Junker. So wie auch immer wieder gerne kleine, aber feine Schlossfeste bzw. kulturelle Abende.
Inzwischen gibt es nicht nur täglich in den Städten irgendwo ein Filmfestival, man kann sich auch von einem Schlossevent zum anderen hangeln. Zu den Highlights gehören die neualten Ostimmobilien wie die Wartburg, Schloss Wiepersdorf, Ferch, Rheinsberg. Wo der Staat versagt, springen zur Not die Banken ein – beim Schloss Neuhardenberg und beim Liebenberger Schloss zum Beispiel. Letzteres gehört nun der bayerischen Landesbank-Tochter Deutsche Kreditbank, die Ländereien – Äcker, Wälder und Seen – lässt sie von einer Diplomlandwirtin bewirtschaften.
Neben dem Managerschulungsbetrieb wirft auch das Hotel noch etwas ab. In der Verwaltung betont man aber, kein Kapitalist zu sein. Ich habe das so verstanden, dass das Objekt, wozu auch noch eine Kirche, ein von Lenné angelegter Park und ein Seehaus gehören, eher Repräsentations- als Renditeaufgaben erfüllt. Obwohl man auch hier davon ausgeht, die Betten bald bis zu 60 Prozent auszulasten (in Brandenburg sind 30 Prozent normal).
So wie der Plauener Hof in Mecklenburg ein bevorzugter Lesbentreff wurde, könnte das generalüberholte Liebenberger Seehaus einer für männliche Homosexuelle werden. Besonders die Berliner Schwulen, deren Zentralorgan Siegessäule heißt, knüpfen gerne an preußische Traditionen an. Im Seehaus hub einst die preußische Männerliebe an, indem der Bauherr, Philip Fürst zu Eulenburg, dort im Kaminsaal zusammen mit Wilhelm II. zur „Liebenberger Tafelrunde“ lud. Der Kamin ist noch immer da. Ferner lebte dort die 1942 als Widerstandskämpferin der Roten Kapelle hingerichtete Libertas, die mit Harro Schulze-Boysen verheiratet war, der als Herausgeber des Gegners von vielen Freunden, unter anderem von Robert Jungk, als „unwiderstehlich“ bezeichnet wurde – besonders beim Zusammenbringen kontroverser Gesprächskreise.
Zur gleichen Zeit verkehrte im Seehaus auch Hermann Göring. Der jetzt im „Kutscherhäuschen“ wohnende Neffe der Widerstandskämpferin Libertas und Hubschraubertestpilot im Ruhestand, Baron von Engelhardt, erzählt: Einmal habe Göring ihn auf seinen Schoß gezerrt, aber er habe dem Reichsmarschall eine Ohrfeige verpasst. Die Sowjets übergaben 1945 ganz Liebenberg der SED, die aus dem Seehaus ein ZK-Gästeheim mit Kino machte. Bald benutzte es das zusammen mit Ulbricht in Ungnade gefallene ZK-Mitglied Alfred Neumann als Privatrefugium. Der von Partei und Frauen enttäuschte Spanienkämpfer ging gerne jagen. Zuletzt war die ganze Empfangshalle des Seehauses mit Trophäen dekoriert. Auf jeder zweiten stand: „Erlegt: A. Neumann“.
Die bayerischen Banker haben die Halle gründlich ausgekehrt und die Sauna rausgerissen. Dafür stehen jetzt nach hinten raus lauter Zitronenbäume auf der Veranda. Überhaupt wurde das ganze Ambiente gleichsam vegetarisiert. Obwohl man auf fleischorientierte Jagdgesellschaften und Reiterspiele setzt. Nur gelegentlich stehen Dichterlesungen auf dem Programm. Neulich war Wladimir Kaminer geladen. Er las mit dem Rücken zum Kamin – vor einem überwiegend reifen Publikum, das aus der Umgebung angereist war. Jedoch nicht mehr aus dem nahen Liebenberg, dessen Bewohner einst das DDR-Staatsgut bewirtschaftet hatten und sich in der Wende, „endlich nach 80 Jahren“ erneut den Seezugang zwecks Angeln und Baden erkämpft hatten.
Während der Interimszeit, da Treuhand und Land mit dubiosen Geschäftsführern das gesamte Objekt verwalteten, verlegten auch die Liebenberger ihre Feiern ins Seehaus. Nun hat die Klientel noch einmal gewechselt – wie so oft in der Vergangenheit des 300 Jahre alten Schlossgutes und des 1906 gebauten Seehauses. Nach der Lesung, als wir noch müßig auf dem Bootssteg herumsaßen und Nachtigallen sowie Fröschen zuhörten, kamen allerhand wandernde Fontanefans paarweise in das Seehaus-Restaurant. Wir besichtigten zuletzt noch eine nahe Straußenfarm. Eine volle Stunde lang berichtete uns der Bauer Frank Winkler dort von den Schwierigkeiten der Straußenzucht.
Wir waren ziemlich beeindruckt, das muss man sagen. Kaminer machte sich die ganze Zeit Notizen. HELMUT HÖGE