Somnambules Taumeln

Von der nachhaltigen Störung eines empfindlichen Gleichgewichts zwischen einem Amerikaner und einer Deutschen handelt Susanne Riedels jüngstes Buch „Eine Frau aus Amerika“, aus dem sie jetzt im Literaturhaus liest

„Nicht jeder Schriftsteller ist ein Dichter.“ Diesen lexikalischen Ansatz, Dichter und Schriftsteller zu scheiden, unterläuft Susanne Riedel, die jetzt im Literaturhaus liest, virtuos. Sie ist eine Dichterin, die Romane schreibt: eine so poetische, eindringliche Prosa wie die ihre ist kaum zu finden in der jüngeren deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Ihr gelingen magische Sätze, aus denen sie die Welten ihrer skurrilen und zerbrechlichen Charaktere erschafft. In ihrem vorigen Roman Die Endlichkeit des Lichts jene des einsiedlerischen Pilzexperten Alakar und der dichtenden Fernsehmoderatorin Verna, deren fast unmögliche Liebesgeschichte sie erzählt.

In ihrem neuen Buch Eine Frau aus Amerika, das sie jetzt im Literaturhaus vorstellen wird, währt der Versuch einer Liebe schon dreißig Jahre – so lange sind die Amerikanerin Sharon und der Deutsche Hannes, der als junger Mann kurz nach 1945 in die USA ging, ein Paar. Und genauso lange bekommt Hannes Sharons Ambivalenz gegenüber seiner Herkunft zu spüren; kennt er das Gefühl, Objekt ihrer psychoanalytischen Deutungen zu sein. Die tiefe Gekränktheit Hannes‘ angesichts der beiläufigen Bemerkung Scharons, ihre Augenfarbe sei unecht, sie trage schon ewig farbige Kontaktlinsen, scheint übertrieben, und man ahnt, dass hier ein Gleichgewicht aus den Fugen gerät.

Als die beiden im Rahmen eines Kulturaustauschs einen Monat lang mit einer Gruppe von Deutschen unterwegs sind, verändert sich Sharon auf beunruhigende Weise. In den von ihr provozierten, oft polemischen Wortgefechten, die sie sich mit ihren Gästen liefert, geht es um die vermeintliche Beschaffenheit der „deutsche(n) Volksseele“, um Schuld, Verdrängung, Selbst- und Fremdbild „der Deutschen“ – und immer richten sich ihre Polemiken auch gegen Hannes.

Geschildert werden diese zermürbenden Tage rückblickend und aus seiner Perspektive. Warum er inzwischen in Berlin und was „drüben“ geschehen ist, das erschließt sich dem Leser peu à peu. Die Offenlegung vollzieht sich erst auf der vorletzten Seite –und danach ist nichts mehr, wie es war. Nicht für Hannes. Nicht für den Leser, der das Buch ein zweites Mal lesen müsste, um die Tragweite der darin ausgesprochenen Sätze zu begreifen.

Dennoch folgt man dieser Einladung nicht allzu bereitwillig. Riedel unterwirft ihre Erzählkraft ausufernden diskursübersättigten Gesprächen, die den Roman über zu weite Strecken ausmachen – auf der Strecke bleibt dabei irgendwann das intellektuelle Vergnügen. Aber in der Schilderung des somnambulen traurigen Taumelns Hannes‘ in Berlin scheint wieder Riedels hohe Kunst auf, mit der sie in ihrem dritten Buch leider etwas sparsam umgeht. CAROLA EBELING

Susanne Riedel: Eine Frau aus Amerika, Berlin: Berlin Verlag 2003, 232 S. 19 Euro.Lesung: Di, 3. 6., 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38