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Archiv-Artikel

Frieden lernen

Henry Town: Ab morgen leben 250 Kinder für vier Tage in ihrer eigenen Stadt mitten in Hamburg. Alle haben die gleichen Rechte – und Pflichten

„Die Streitschlichter hatten voriges Jahr von allen am wenigsten zu tun“: Stadtmutter Doris Radlanski

von LENA ULLRICH

„Stopp! Das darfst du nicht.“ Für keinen Bürger gibt es in der Stadt mehr Verbote als für Kinder. Begründet darin, „dass sie noch zu klein dafür sind“, dürfen Kinder nicht frei über ihre Zeit oder ihr Geld verfügen. Verbote sollen sie schützen, erziehen und bestrafen. Sinnvoll oder nicht, sie bewirken immer das Gleiche: Je seltener Kinder die Chance haben, frei und verantwortungsbewusst zu handeln, desto stärker werden sie von einer „Konsumer-Haltung“ geprägt.

Dem Jugendrotkreuz (Jrk) Hamburg dagegen steht der Kopf nach Mitbestimmung. Für Hamburger Kinder im Alter zwischen sieben und zwölf Jahren stampft der Jrk eine eigene Stadt aus dem Boden. „Henry Town“ (benannt nach dem Gründer des Roten Kreuzes, Henry Dunant) hat feste Stadtgrenzen: Sie liegen in der Grundschule „Hinter der Lieth“ in Lokstedt. 210 Kinder werden morgen im Einwohnermeldeamt von „Henry Town“ registriert, sie bekommen einen Ausweis und eine Unterkunft in einem der Klassenzimmer. „Das DRK steht schon lange in Kooperation mit der Schule. Hier finden auch Notunterkünfte in Katastrophenfällen statt,“ sagt DRK-Sprecher Bernt Edelhoff.

Mit der Einbürgerung unterschreiben die Kinder das Grundgesetz der Stadt. Die einzigen festen Regeln lauten: Die Würde der BürgerInnen ist unantastbar. Alle sind für die Ordnung der Stadt gemeinsam verantwortlich. Alle haben die gleichen Rechte. Besucher sind zu Besuchszeiten herzlich willkommen. Rauchen und Alkohol sind verboten. Niemand verlässt die Stadt ohne Genehmigung des Ältestenrates. Das Stadtrecht üben Bürgermeister und der Ältestenrat aus. Die Bürgerschaft und ein Streitschlichtergremium sind demokratisch gewählt. Sie sorgen für Gleichberechtigung, ohne Unterschiede nach Religion oder Herkunft.

„Zu einem friedlichen Zusammenleben gehören Rechte und Pflichten“, sagt Hamburgs DRK-Präsident Werner Weidemann. „Das will gelernt sein.“ Dazu haben die Bürger von Henry Town vier Tage lang Gelegenheit.

Wie in einer richtigen Stadt müssen sie sich Arbeit suchen. Das geschieht zweimal täglich, morgens und mittags beim Arbeitsamt. Auf einer langen Leine sind die verschiedenen Jobangebote gespannt. 50 Betriebe und Einrichtungen wie zum Beispiel eine Schreinerei, ein Restaurant, eine Akrobatikschule oder ein Friseur bieten Arbeitsplätze an. Betreut werden diese Angebote ausschließlich von freiwilligen Helfern der Kindervereinigung Hamburg, dem russischen Kulturverein ASBUKA, dem Technischen Hilfswerk, dem islamischen Verbund Schura und der DGB-Jugend. Sie bezahlen die Arbeit mit der in der Stadt gültigen Währung: dem Henry. Wer keinen Zettel abbekommt, ist für einen halben Tag arbeitslos. Zeit, sich in der Stadt umzusehen. oder an einer Fortbildung zum Beispiel der Freiwilligen Feuerwehr teilzunehmen.

Das Projekt Kinderstadt organisieren die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Jugendrotkreuzes bereits zum zweiten Mal. Das Amt für Jugend und Soziales unterstützt das Projekt mit 13.000 Euro. Außerdem unterstützen Firmen das Projekt mit Sachspenden.

Die Kinderstadt „Henry Town“ ist unter www.henry-town.de im Internet zu besichtigen. Mehr Infos über Veranstaltungen des Jrk gibt es unter www.jrk-hamburg.de und in der Broschüre „Jahresprogramm 2003“, kostenlos zu bestellen unter ☎ 55 42 01 69.