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Archiv-Artikel

Müssen alle mit

Auf langen Autofahrten wird die riesige Kiste mit Demo-Tapes auf Tauglichkeit geprüft: Zwei Jahre nach einer „bescheuerten Entscheidung“ hat das Hamburger Label Tapete über 25 Veröffentlichungen herausgebracht

„Das größte Kompliment wäre, wenn die Leute bei uns den Eindruck hätten: Da haben ein paar gute Kumpels schon mal vorsortiert.“

von Christian Möller

Eigentlich sind ja immer alle im Meeting. Man ruft bei einer Plattenfirma an, aber der So-und-so (sagt die Assistentin vom So-und-so) ist grad im Meeting, sorry. Macht ja nichts. Trotzdem ist es doch viel netter, wenn die Leute mal ordentliche Gründe für ihr Fernbleiben vorbringen.

„Der Basti“, sagt Maggi, die bayrische Praktikantin von Tapete Records, nachdem sie „die Buben“ (Tocotronic) ein bisschen leiser gemacht hat, „der Basti besucht grad seine Freundin.“ Wiebke „besucht ihre Diplomarbeit“. Und Nina? „Ich glaub, der geht‘s noch nicht so gut. War gestern noch ein ziemlich lustiger Abend.“

Um Missverständnissen vorzubeugen: Natürlich wird meistens gearbeitet in der Stahltwiete 10, Hamburg-Altona. Seit zwei Jahren hat das Label im Dachgeschoss einer ehemaligen Fischfabrik seine Büros – zwei Jahre, in denen man sich den Ruf erworben hat, Deutschlands „umtriebigstes Indie-Label“ (so das Musikmagazin Intro) zu sein. 25 CDs wurden in dieser Zeit herausgebracht, eine Zahl, die kürzlich in Gestalt des schlicht V 25 benamsten Samplers gebührend gefeiert wurde.

Und weil den Tapete-Leuten das Zusammenstellen von Mixtapes genauso viel Spaß macht wie jedem anständigen Menschen, folgt nun schon die zweite Folge jener liebevoll gemachten Compilation, deren Titel auch die Repertoire-Politik des Labels umreißt: Müssen alle mit. Oder wie Label-Betreiber Dirk Darmstaedter es formuliert: „Das größte Kompliment wäre, wenn die Leute bei uns den Eindruck hätten: Da haben ein paar gute Kumpels schon mal vorsortiert. Und die sagen dann: ,Ah, du magst Niels Frevert? Dann hör doch mal in die Paul Dimmer- oder die Thimo Sander-Platte rein. Könnte dir gefallen.‘“

Als sich Dirk Darmstaedter und Gunther Buskies – beide sind mit ihren Bands Me And Cassity und Darlo selbst auf Tapete vertreten – kennen lernten, hatten beide reichlich Erfahrungen im Musikgeschäft gesammelt. Buskies als Produktmanager beim Major Universal Music, Darmstaedter als Kopf von The Jeremy Days (Brand New Toy). Eine Best-of-CD der Band brachte die beiden ins Gespräch. „Bei Universal war vorher ein Best-of-Jeremy-Days erschienen, das ziemlich billig daherkam“, erzählt Buskies, „Man hatte die Musiker gar nicht einbezogen, absolut respektlos.“ Die Herren merkten schnell, dass sie einiges gemeinsam hatten. Der eine hatte „keine Lust mehr, bei einer Firma zu sein, wo sich die Leute im Grunde für das, was ich mache, gar nicht interessieren“. Der andere wollte „selbst entscheiden, für welche Musiker ich mich engagiere. Und nicht vorgesetzt bekommen: ,Du machst jetzt mal die Bananafishbones‘“.

Nach unzähligen Treffen in Kneipen, Küchen und am Alsterufer mündete das bald in die „total bescheuerte Entscheidung“, mit den Träumen von der eigenen Plattenfirma Ernst zu machen. „Eigentlich das Blödeste, was man machen konnte, zu dieser Zeit ein Label zu gründen.“ Aber genau das ist es, was den grundsympathischen Enthusiasten in der Indie-Gemeinde ihr Standing verleiht: Dass da ein paar Leute, während die Großen über Umsatzrückgänge lamentieren, einfach die Musik machen, die sie selbst gern hören möchten. Wobei die Betreiber Tapete gar nicht mal als Indie-Label begreifen. „Zumindest nicht im Sinn von ,schräges unhörbares Zeug‘, sondern von ,charmant, sympathisch, ehrlich‘“, sagt Buskies. „Unsere Künstler spiegeln einfach unseren Geschmack wider.“ Allein der entscheidet, wenn auf langen Autofahrten die riesige Kiste mit Demo-Tapes auf Tauglichkeit geprüft wird. „Es müssen richtige Künstler sein, keine Projekte. Wir möchten ja mit den Leuten gern länger zusammenarbeiten, nicht nur für eine Platte“, so Darmstaedter. „Und wir sind nicht so an Sounds und Beats interessiert. Die Sachen müssen auch nur mit einer Gitarre funktionieren.“

Wenn‘s denn ein Etikett braucht, ist wohl Songwriter-Pop das, was Musiker wie den Ex-Nationalgaleristen Niels Frevert, die verstiegene Poesie von Erdmöbel oder den glamourösen Streicherstrahlepop von Montag unter einen Hut bringt. Dass viele Bands mit deutschen Texten im Katalog stehen, ist eine pragmatische Entscheidung. „Meine Muttersprache ist Englisch“, erklärt Darmstaedter, „und ich kann dieses Lübke-Englisch von deutschen Bands nicht mehr hören.“ Dass Tapete dadurch am aktuellen Deutschpop-Boom partizipiert, ist nicht schlecht. Eine Strategie, so Buskies, stecke nicht dahinter: „Diese ganze Neue Berliner Aufgeregtheit interessiert mich überhaupt nicht.“

„Müssen alle mit“ erscheint am kommenden Montag auf Tapete/Indigo. Release-Parties: 3.4 Hamburg, Molotow; 3.4 Bremen, Römer; 10.4 Dinslaken, Jägerhof