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Archiv-Artikel

Gut Wetter nach reinigendem Gewitter

Hauen und Stechen in der SPD als Selbstfindungsprozess für die Oppositionsrolle. Integrationsaufgabe für neuen Fraktionschef Michael Neumann

Er stehe jetzt vor einer „großen Integrationsaufgabe“, sagt Michael Neumann, frischgebackener SPD-Fraktionsvorsitzender. „Die Fraktion wird über die Sacharbeit zusammenwachsen“ und „aus dem Selbstfindungsprozess gestärkt herauskommen“, glauben seine StellvertreterInnen Martin Schäfer und Britta Ernst. Die offiziellen Stellungnahmen aus der Führungsetage verweisen auf gut Wetter nach einem reinigenden Gewitter.

Doch der Schreck über die interne Abrechnung bei den Vorstandswahlen in der SPD-Fraktion in dieser Woche sitzt tief. Nur jeweils 21 von 41 Stimmen für Neumann, Ernst und Schäfer ebenso wie für die Parlamentarische Geschäftsführerin Andrea Hilgers, immerhin 24 für die dritte Stellvertreterin Gesine Dräger, Ex-Chef Walter Zuckerer und sein Vize Ingo Egloff abgewählt – denkbar knappe Voten, die von verfeindeten Lagern zu künden scheinen.

Und in jenen rumort es kräftig, wie die Ansichten derjenigen zeigen, die ihre Namen nicht in der Zeitung lesen möchten. „Unpolitische Irrationalität“ oder „Nabelschau verletzter Eitelkeiten“ gehören zu den freundlichen Einschätzungen, Gefrustete sprechen von einem „Scherbenhaufen“, Empörte wähnen „Strippenzieher“ am finsteren Werke, Besorgte fürchten den „Rückfall in alte Grabenkämpfe“ und besonders Genervte verdächtigen gar manch Mitgenossen, „ein faules Schwein“ zu sein: Zu Beginn ihrer Oppositionszeit gegen den allein regierenden CDU-Bürgermeister Ole von Beust ist Hamburgs SPD-Fraktion vor allem mit sich selbst beschäftigt.

Es ist die Geschichte zweier unbewältigter Niederlagen bei Bürgerschaftswahlen, die hinter vorgehaltenen Händen erzählt wird. Und von Widerständen gegen die „Entmachtung der Altherrenriege“ um die Ex-Bürgermeister Henning Voscherau und Ortwin Runde und deren langjährige Senatoren-Eminenzen Eugen Wagner und Jan Ehlers, von Widerständen gegen eine personelle Erneuerung der SPD, der Erbhöfe und persönliche Karrieren zum Opfer fielen, von der „Orientierungslosigkeit“ vieler GenossInnen nach der Auflösung altgewohnter Kungelkreise.

Der „Keller“ und der „Övelgönner Kreis“, die Hinterzimmerrunden der Rechten und der Linken in der Hanse-SPD, gibt es nicht mehr – und damit keine festen Seilschaften, keine internen Absprachen, aber auch keine Klärungsprozesse mehr. „Früher konnte man da abkotzen“, beschreibt es ein Abgeordneter mit der Vorliebe zu drastischen Formulierungen, „und dann ging es einem besser.“ Jetzt würden „Befindlichkeiten nicht mehr vorher abgefedert“, Meinungsbildungen und Abstimmungen dafür unberechenbarer: „Es gibt keine Lager mehr, sondern vagabundierende Mehrheiten“, ist die allgemeine Einschätzung.

Obwohl eine solche „wirre Gemengelage“ für Hamburger Sozialdemokraten eher ungewohnt ist, will dennoch kaum jemand zurück zur alten Übersichtlichkeit. „Gut, dass es jetzt kracht“, seufzen manche mit gewisser Erleichterung. Da müsse man jetzt durch, alle in der Fraktion müssten „ihren Platz“ finden, und dann „machen wir das, was die Wähler von uns erwarten: gute Opposition bis 2008“.

Erste Gelegenheit zur Klimaverbesserung bietet die Fraktionsklausur am 23. und 24. April, die nach dem Willen einiger „keine nüchterne Arbeitssitzung“ mehr sein könne: „Freitagnachmittag“, so die Vorstellung eines Genossen, „gehen wir an der frischen Luft spazieren, abends bechern wir, und wenn wir Samstag wieder nüchtern sind, machen wir uns an die Arbeit.“

Einig sind sich alle, dass Neumann und die neue Fraktionsführung „viel aufzuräumen haben“. Der Chef krempelt heute Vormittag schon mal die Ärmel hoch – beim Frühjahrsputz in Dulsberg. sven-michael veit