Die Stadtmusikanten

Eine Weile ging alles gut. Die Tiere hatten erst mal ordentlich aufgeräumt und es sich dann gemütlich gemacht. Abends saßen sie am Kamin, tranken sich durch die Räuberweinvorräte und erinnerten sich vergnügt an die wilde Flucht der bösen Buben.

Eines Abends aber kam der Esel mit hängenden Ohren aus dem Keller zurück: „Die Fässer sind leer“, klagte er, „was sollen wir jetzt trinken?“ Da war guter Rat teuer. Weit und breit gab es nichts außer finsterem Wald, nicht einmal ein fahrender Händler verirrte sich in diese Gegend. Auch ansonsten stand nicht mehr alles zum Besten – eigentlich sah das Haus schon wieder aus wie zu schlimmsten Räuberzeiten. Der Esel pflegte den Komposteimer mit dem Gelben Sack zu verwechseln, der Hund wollte nicht abwaschen und Hahn erwies sich als penetranter Stehpisser.

Es dauerte nicht lange, da hatte die Katze die Faxen dicke. „Morgen ziehen wir weiter nach Bremen“, fauchte sie, „etwas Besseres als den Müll hier finden wir überall!“ Auch der Esel erinnerte sich jetzt, dass er ja eigentlich noch eine Karriere vor sich hatte: als erster Trompeter der „Bremer Philharmoniker“, wie sich das frühere Staatsorchester jetzt angeblich nannte. Am nächsten Tag also verließ die muntere Schar ihr abgewirtschaftetes Domizil und machte sich auf nach Bremen.

Allein, der Weg war schwer zu finden. Nach langem Umherirren trafen die Tiere endlich ein kleines Männlein. Doch als sie es nach der einzuschlagenden Richtung fragten, erhielten sie nur ein nicht enden wollendes Kichern zur Antwort. „Bremen?“, brachte das Männlein endlich zwischen zwei Gluckslauten hervor, „das liegt doch neuerdings in Italien!“

Da allerdings hatte sich Willi Lemke – um niemand anderen handelte es sich – getäuscht. Denn obwohl Bremen seit dem großen Bildungstest in der Tat als Pisa-Hochburg galt, so lag es doch nach wie vor in Norddeutschland. Ratlos sahen sich die Tiere an. Ob sie dem immer noch wild grimassierenden Männlein Glauben schenken sollten? Glücklicherweise hatte die Katze inzwischen eine fischige Brise in die Nase bekommen, und so entschied sie schließlich: „Etwas Besseres als ein wirres Männlein finden wir überall. Jetzt geht es immer der Nase nach.“

Und wirklich: Nach einem beschwerlichen Marsch durch moorige Niederungen und überschwemmte Wiesen sahen die vier Wanderer die Türme des Domes vor sich aufragen. „Heute Abend können wir unser erstes Konzert in der berühmten Stadthalle geben“, jubelte der Hahn, „dort haben doch schon unsere Vorbilder, die Rolling Stones, gespielt!“ In Erinnerung an ihre Idole hatten sich die vier mittlerweile den Bandnamen „Rolling Stint“ gegeben.

Welch Enttäuschung jedoch widerfuhr ihnen bei ihrer Ankunft: Anstelle der erwarteten Halle erblickten sie nur ein trostloses Trümmerfeld. Also liefen die Musikanten weiter zum Marktplatz. Und dort stimmten sie endlich ihr Konzert an, auf das sie sich schon so lange vorbereitet hatten: Der Esel trompetete, dass der Roland wackelte, der Hund schlug die Pauke und Hahn sang sein schönstes Lied.

Doch was geschah? Mit zugehaltenen Ohren rannten die Menschen fort, selbst die Straßenbahn stoppte auf offener Strecke, um nicht den Platz überqueren zu müssen. Verblüfft ließen die Tiere ihre Instrumente sinken und sahen sich an. Dass die Bremer ähnliche Banausen wie die Räuber sein würden – damit hatten sie nun wirklich nicht gerechnet.

Nachdenklich trotteten sie in einen stillen Winkel zwischen Rathaus und Liebfrauenkirche und begannen, auf bessere Zeiten mit einem verständigeren Publikum zu warten. Sollte ihre Musik denn niemals eine Chance haben?

Wenn sie nicht gestorben sind, stehen sie da noch heute. Und sorgen für Bremens Ruf und Ruhm als innovative Musikstadt.