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Archiv-Artikel

On the road in Richtung Karriere

Offenheit, Kommunikation, Selbstständigkeit, Neugierde sind Schlüsselkompetenzen einer globalisierten Ökonomie. Jugendliche eignen sich diese Softskills auf der Reise mit dem Rucksack um die Welt an. Eine berufliche Qualifikation

VON JANA BINDER

Richard betritt das stickige Mehrbettzimmer eines Hostels in Kuala Lumpur. Mit seinem großen Rucksack drückt er sich vorsichtig an den Doppelstockbetten entlang, um niemanden aufzuwecken. Doch die Betten stehen so eng beieinander, dass sich ein schabendes Geräusch nicht vermeiden lässt. Auf dem Bauch trägt er einen kleinen Tagesrucksack, in dem vermutlich seine Wertsachen untergebracht sind. Er wirkt erschöpft. Seit elf Monaten ist er unterwegs. Nordamerika, Südpafizik, Neuseeland, Australien und jetzt Südostasien. Selten war er länger als drei Nächte an einem Ort. Noch zwei Monate, dann fliegt er zurück nach Großbritannien. Während er nach einem freien Bett für sich Ausschau hält, nickt er entschuldigend denjenigen zu, die er geweckt hat. An diesem schwülen Morgen liegen hier in der Hauptstadt Malaysias unter vielen anderen auch Nora aus Deutschland, die gerade auf dem Weg von Thailand nach Australien ist, Susie aus Kanada, die vor einer Woche nach vier Monaten Europareise nun in Asien auf ihrem Round-the-world-Trip angekommen ist, Tim aus Großbritannien, der während eines „gap years“, eines Jahres zwischen Schule und Universität, Lebenserfahrung sammeln will.

Richard, Nora, Susie und Tim gehören zu denjenigen, die sich mit einem Rucksack bepackt auf den Weg um die Welt machen. Dieses Reisephänomen wurde erstmals in den Siebzigerjahren wissenschaftlich betrachtet. Der Soziologe Erik Cohen beschrieb Rucksackreisende als jugendliche Subkultur, die sich von den Strukturen ihrer Herkunftsgesellschaften und dem gleichzeitig beginnenden Massentourismus abwendet. Heute ist der Rucksacktourismus selbst zum Massenphänomen geworden. 2003 wurden zehnmal so viele Round-the-world-Tickets verkauft wie noch Anfang der 90er-Jahre, und die Nachfrage steigt trotz Tourismusflaute. „Ein Ticket um die Erde kostet nicht die Welt“, bewirbt der deutsche Marktführer in Sachen individuelle Weltreisen STA sein Angebot. Mit der gestiegenen Nachfrage hat sich eine spezialisierte Infrastruktur in nahezu allen Ländern dieser Welt fest etabliert. „Banana-Pancake-Trail“, wird sie ironisch genannt, was sich auf die bei Rucksacktouristen so beliebten Frühstücks-Bananenpfannkuchen bezieht, die überall angeboten werden.

Auch wenn sich die gesellschaftlichen Bedingungen in der Herkunftsländern der Rucksacktouristen in den letzten 30 Jahren rapide verändert haben und die Klientel, die sich für eine Weltreise mit dem Rucksack entscheidet, sich erheblich von den Erstürmern des Hippie-Trails unterscheidet, so umschwirrt die Aura der 70er immer noch die Treffpunkte der Traveller: Es wird weiterhin auf eigene Faust, über lange Zeiträume, bei geringem Budget, ohne feste Route und mit dem Wunsch, so nah wie möglich an die Kultur der Gastländer heranzukommen, gereist. Allerdings dominieren statt des offenen Ausgangs des Trips das feste Rückflugdatum und der Wunsch nach einem Karriereanschluss. So wählte Susie die Zeit zwischen Collegeabschluss und Eintritt in die Arbeitswelt für ihre Weltreise. Das Rückflugticket von Sydney nach Toronto hat sie bereits in der Tasche. Eine Woche nach ihrer Rückkehr wird sie in einer Werbeagentur anfangen. Da sie sich nicht ihre Zukunft verbauen wollte, besprach sie ihr Vorhaben sowohl mit ihrem Professor als auch mit ihren Eltern und ihrem zukünftigen Arbeitgeber. Alle ermutigten sie, sich diese Erfahrung nicht entgehen zu lassen. Insbesondere ihr zukünftiger Arbeitgeber verspreche sich viel „Input“ durch die Erfahrungen, die sie auf ihrer Weltreise sammelt, erzählt sie.

Susie betont Freiheit, Sponaneität und Flexibilität, mit denen sie die Dinge auf sich zukommen lassen kann. Das Sich-treiben-Lassen ist das wichtigste Element ihres Reisestils – „the whole point of backpacking“, wie sie sagt. Driften, was auch der amerikanische Soziologe Richard Senett als den dominierenden Zustand des „flexiblen Menschen“ im Zeitalter der Globalisierung sieht. Fast alle Rucksacktouristen gehören der gehobenen Mittelklasse an und sind gut ausgebildet. Immer wieder kommt zur Sprache, wie überlegen sich alle gegenüber ihren Freunden zu Hause fühlen, da diese gelangweilt oder gestresst zur Arbeit gehen, während sie auf Elefanten reiten und sich unter Wasserfällen waschen.

Der Zwang, ein individuelles Ich-Projekt zu entwickeln, wird mit den Karriereanforderungen postindustrialisierter Ökonomien in Einklag gebracht. Denn die Entscheidung, alleine zu reisen, sich temporär mit fremden Personen unterschiedlicher Nationalitäten zusammenzuschließen, sich auf unbekannte Situationen einzulassen – all diese Fähigkeiten sind gleichzeitig die heiß begehrten Softskills des Arbeitsmarktes. Auf einer Rucksackreise können sie erworben werden.

Die Rucksackreise ermöglicht eine spezifische Qualifizierung und erfüllt das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung. Auch für Nora aus Deutschland hat ihre Weltreise eine direkte Verbindung zu ihrem Studienfach „Internationales Management“. Genauso für Tim: „Diese Weltreise wird sicherlich keinen Einfluss darauf haben, wie ich meinen Job als Tiefbauingenieur ausführe, aber sie wird meine Chancen erhöhen, überhaupt einen Job zu bekommen.“ Er wollte eigentlich gleich mit der Uni anfangen, aber beim Vorstellungsgespräch dort meinten sie, er solle zuerst noch einen Round-the-world-Trip machen, dann würde er einen Platz bekommen. „Deswegen bin ich hier und ich finde das gut so, weil wenn jemand internationales Recht studieren will, dann sollte er auch mal über den Tellerrand von England hinausgesehen haben, oder?“

Jana Binder reiste im Rahmen der Recherchen für ihre Doktorarbeit zum Thema Rucksackreisen im Fach Ethnologie drei Monate durch Südostasien und fragt sich heute, wann sie die erworbenen Softskills nun endlich auch in ökonomisches Kapital umwandeln kann.