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Archiv-Artikel

Schlaff im Anzug

Eine besondere Schwere der Schuld ist nicht erkennbar: Michael Thalheimer inszeniert am Schauspiel Frankfurt Rainer Werner Fassbinders „Warum läuft Herr R. Amok“. Die Inszenierung ist perfekt, die Teamleistung vorbildlich, die individuelle Handschrift unübersehbar – und doch zündet der Funke nicht

von FLORIAN MALZACHER

Was also hat er falsch gemacht? Das Äußere perfekt wie immer, die Antworten eloquent und intelligent, der gewählte Gegenstand angemessen. Die Teamleistung vorbildlich und dabei seine individuelle Handschrift unübersehbar. Aber irgendetwas stimmt nicht, ist langweilig. Wie bei einem Anzug von der Stange, der passt und etwas herzumachen scheint, aber dennoch ein Anzug von der Stange bleibt.

Michael Thalheimer ist eigentlich der ideale Regisseur des Stadttheaters: Er bedient es nicht nur, er stellt es aus, nutzt seine Mittel mit unverwechselbarer Leichtigkeit, Treffsicherheit und Brutalität. Und distanziert sich zugleich von ihnen, führt sie vor, als würde er mit freundlichem Lächeln darauf hinweisen, dass er selbstverständlich auch anders könnte. So hat er Molnars „Liliom“ in einen Käfig symbolischer Ordnung gestellt, aus dem nur animalische Gewalt einen Ausweg zu bieten schien, hat Schillers „Kabale“ so klar und reduziert gesetzt, dass die Einsamkeit der Figuren einem schier das Herz sprengen wollte, und hat mit Vinterbergs „Fest“ eine beeindruckende Gratwanderung zwischen Nähe und Distanz gemeistert. Immer wieder gelang dem angeblich so unterkühlten Designerregisseur eine Berührung, wie sie im Theater selten zu spüren ist. Dass dies nicht die Rührung eines fein ziselierten Einfühlungsdramas war, sondern eher die kalkulierte eines Hollywoodfilms, das ist wahr. Aber auch deren klare Berechnung nimmt man bekanntlich nur unintelligenten Filmen übel.

Nun also Fassbinder. „Warum läuft Herr R. Amok“ ist die lakonische Geschichte eines Mannes, der irgendwann einfach nicht mehr mag. Der die kleinen Sticheleien, das nichtige Geschwätz und den latenten Druck plötzlich nicht mehr erträgt und Frau, Kind, Nachbarin erschlägt ohne Vorzeichen, ohne Erklärung. Der Titel verrät den Schluss und lässt Herrn R. zur Projektionsfläche werden. Nur weil wir wissen, was kommen wird, lesen wir etwas in seinem Gesicht.

Dieses Gesicht gehört in Frankfurt Peter Moltzen, der einen sympathischen jungen Mann zeigt, hilfsbereit und hilflos. Manchmal sehen wir dieses Gesicht überlebensgroß als Videobeam auf ganzer Bühnenbreite. Meist aber spielt sich das Leben hinter ihm ab, in dem leinwandflachen Bühnenbild von Olaf Altmann, einem riesigen Setzkasten wie eine dreistöckige Schaufensterreihe. Davor steht Herr R. direkt vor dem Publikum, hinter ihm die Nachbarn, Kollegen, Eltern, der Chef, die Frau. Die plaudern achtlos vor sich hin, manchmal kränkend, manchmal fordernd. Eine besondere Schwere ihrer Schuld ist nicht zu erkennen.

Wo am Anfang noch der Schlager dröhnt und die Bühne diffus pastellig leuchtet, ist am Ende nur noch Grau. Das Spiel, am Anfang noch trotz räumlicher Distanz fast realistisch vertraulich, verschiebt sich hin zu Typisierung und Isolation. Doch die formale Entwicklung hin zum Amoklauf überträgt sich nicht, lässt kalt wie das eigentlich überzeugende Ensemble.

Thalheimer orientiert sich letztlich mehr an Fassbinders Film, als das Theater vertragen kann. Denn Fassbinders Vorlage ist kein Drama, genau das aber braucht Thalheimer. Denn nur ein Drama stemmt sich mit aller Gewalt gegen die Form, in die er es zwängt. Fassbinders Text aber wehrt sich nicht, er hängt nur schlaff im Anzug, der diesmal von der Stange ist. Sodass es der Abend aus eigener Kraft gar nicht bis zur angekündigten Bluttat schafft und diese ausfallen muss, weil sie dramaturgisch unmöglich geworden ist.

Thalheimer ist in mancher Hinsicht der Klassenbeste seiner Generation. Klassenbeste aber werden langweilig, wenn sie sich zu sicher sind. Weil sie dann nichts mehr riskieren, aus dem Spiel früh aussteigen und lieber den Gewinn mit nach Hause nehmen, als ihn neu zu setzen. Da hätte Thalheimer sich ein Beispiel an sich selbst nehmen können oder an Cincinnati Kid: Kunst ist es, riskant zu spielen und trotzdem zu gewinnen.