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Archiv-Artikel

„Der Aufbau in Afghanistan kommt nicht voran“, sagt Katja Maurer

Die Afghanistankonferenz gilt als Erfolg – zu Unrecht. Denn die Macht der Kriegsökonomie ist ungebrochen

taz: Joschka Fischer hält die Berliner Afghanistankonferenz für einen Erfolg. Stimmt das?

Katja Maurer: Es war eine äußerst harmonische Konferenz. Viele waren sich über vieles einig. Aber das Ergebnis ist es wohl eher ein Versuch, zu vernebeln, was in Afghanistan wirklich passiert und Not tut. Die Hilfe von 8,2 Milliarden Dollar für drei Jahre ist jedenfalls zu gering. Die Prognosen der Weltbank sind weit höher.

Ich war kürzlich in Kabul und habe dort einen einzigen Baukran gesehen. Und nach Kabul fließt sehr viel Hilfe. Insofern kann man sich vorstellen, in welchem Tempo der Wiederaufbau in den Provinzen vor sich geht.

Das Geld ist also das zentrale Problem?

Nein. Das wesentliche Problem ist der Mangel an staatlichen Strukturen, um die Hilfe von außen sinnvoll verwenden zu können.

Wo werden die 8, 2 Milliarden denn ankommen?

Das Geld, das über die afghanischen Regierung kanalisiert wird, landet nicht immer, aber häufig bei den Warlords in den Provinzen, die in der Karsai-Regierung ja einflussreich sind. Deshalb wickeln die Geberländer die Hilfe lieber über ausländische NGOs ab. Das ist verständlich – hat aber den Effekt, dass so die staatlichen Strukturen nochmals unterminiert werden. Eigentlich müsste es darum gehen, erst mal staatliche Strukturen schaffen, inklusive von Kontrollmöglichkeit, die die Regierung in Kabul befähigt, das Geld sinnvoll einzusetzen.

Also Nation Building: Gibt es da in den letzten zwei Jahren Fortschritte?

Es ist schwierig, eindeutige Aussagen zu treffen. Man kann aber sagen, dass die höchste Gefahr besteht, dass in Afghanistan wieder genau die chaotischen, gewalttätigen Verhältnisse herrschen, die den Aufstieg der Taliban erst ermöglicht haben. Die alltägliche Unsicherheit für den normalen Afghanen ist, im Vergleich zu früher, größer geworden. Auch die Minenräumorganisationen, die medico international dort unterstützen, sind schon mehrmals angegriffen worden. Das ist dramatisch – denn genau diese Situation hat die Taliban an die Macht gebracht hat.

Das Haupthindernis auf dem Weg zu zivilen Verhältnissen scheint die Kriegsökonomie zu sein. Kriegswirtschaft und Drogenhandel stützen die Macht der Warlords, die wiederum dafür sorgt, dass die Kriegs- und Drogenökonomie bleibt, wie sie ist. Wie könnte man diesen Kreislauf durchbrechen?

Wenn das Kind im Brunnen liegt, ist es nicht so einfach, gute Vorschläge zu machen. Wir haben den Krieg der USA ja auch kritisiert, weil er die Warlords zurück an die Macht gebracht hat. Deshalb ist es kein Wunder, dass die Warlords stärker geworden sind. Der Mohnanbau nimmt zu, der Drogenhandel floriert, deshalb haben die Warlords wiederum Geld für Waffen. Mehr Waffen bedeuten mehr Macht. Die Vereinigten Staaten wollten, egal um welchen Preis, die Taliban bekämpfen. Und das ist noch immer ihre Politik.

Die USA kooperieren noch immer mit Warlords, die gegen die Taliban vorgehen?

Ja, und damit untergraben sie den Versuch, staatliche Strukturen zu etablieren. Die USA verfolgen mit bemerkenswerten Blindheit die Strategie, den Feind ihres Feindes zu unterstützen. Obwohl sie damit ja schon mal auf die Nase gefallen sind.

Warum diese Lernhemmung?

Es geht der Bush-Regierung um schnelle, vorzeigbare Ergebnisse im Antiterrorkrieg. Die Befestigung staatlicher, demokratischer Strukturen hält sie offenbar für zweitrangig.

Das gilt aber nicht für die Europäer?

Nein. Die Europäer wollen ernsthaft den Aufbau staatlicher Strukturen. Aber auch die Europäer sind nicht in der Lage, die Warlords zu entwaffnen, weil dies zu riskant und mit zu vielen eigenen Opfern verbunden wäre. Aber ohne Entwaffung der Warlords keine Zerstörung der Kriegsökonomie und kein wirksames Nation Building.

Die Karsai-Regierung hat angekündigt 100.000 Milizionäre zu entwaffnen. Ist das eine realistische Prognose – oder wishful thinking?

Letzteres. Keiner weiß, wie dies geschehen soll. Die Entwaffnungen der Milizen, die es bisher gab, haben nicht funktioniert. Höchstens ein Prozent haben ihren „Job“ gewechselt und sind Zivilisten geworden. Es wurden zwar Waffen abgegeben, aber nur alte, ohnehin schrottreife. Die Warlords haben haben potente ausländische Unterstützer, Iran, Pakistan, Usbekistan, die sie neu aufrüsten. In Afghanistan fürchtet man, dass dieser Entwaffnungsversuch zu einer bloßen Umrüstung führen wird.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE