: Acehs Zivilisten im Visier
Indonesiens Militär geht in Aceh auch gegen Organisationen der Zivilgesellschaft vor
BANGKOK taz ■ Seit Indonesiens Präsidentin Megawati Sukarnoputri vor eineinhalb Wochen das Kriegsrecht über die abtrünnige Provinz Aceh verhängte, sind bei der dortigen Militäroffensive laut dem indonesischen Rotem Kreuz mindestens 80 Menschen getötet worden. Die Rebellen der „Bewegung Freies Aceh“ (GAM) sprechen von mehreren hundert Toten, überwiegend Zivilisten. Augenzeugen berichteten von Dorfbewohnern, die von Soldaten mit Kopfschüssen hingerichtet wurden. Das Militär rechtfertigte die Tötung eines 13-Jährigen mit dessen angeblicher Spionage für die GAM.
Laut Jakarta Post von gestern wurden in der ersten Woche nach Scheitern des Waffenstillstands 328 Schulgebäude, 26 Häuser, fünf Regierungsgebäude, sieben Brücken abgebrannt oder zerstört. Dafür machen sich Rebellen und Armee gegenseitig verantwortlich. Laut UN-Kinderhilfswerk Unicef sind 150.000 Menschen auf der Flucht.
Von 1989 bis 1998 hatte Jakarta schon einmal den Ausnahmezustand in der rohstoffreichen Unruheprovinz verhängt. Der Konflikt, in dem die GAM seit 1976 bewaffnet für die Unabhängigkeit kämpft, ist derselbe geblieben. Doch die Umstände sind andere: Nach der jetzt von Oberbefehlshaber Endriartono Sutarto ausgegebenen Parole, „alle Rebellen zu vernichten“, jagt die Armee nicht nur systematisch zivile Organisationen, denen sie Unterstützung der GAM vorwirft. Das Militär erwägt auch, gegen Verdächtige die nach den Bali-Anschlägen erlassenen Antiterrorgesetze anzuwenden.
Kurz vor der jetzigen Offensive war bereits der Leiter Informationszentrums für ein Referendum in Aceh (Sira), Muhammad Nazar, festgenommen worden. Er prangerte Menschenrechtsverletzungen an und forderte ein Referendum über Acehs Status. „Jeder Versuch, Zivilisten in einen Friedensplan einzubeziehen, galt als Provokation“, erklärt der Mitarbeiter einer Nichtregierungsorganisation. Bisher wurden 45 Studenten und Aktivisten verhaftet, darunter die Frauenrechtlerin Cut Nur Asikin. Die Regierung wirft ihnen vor, sich für die Unabhängigkeit eingesetzt zu haben. „Die Repression durch Militär und Polizei hat nie aufgehört“, sagte Nur Asikin. „Die Kinder von damals sind heute erwachsen, sie wollen nicht länger auf die Unabhängigkeit warten.“ Ihr wird jetzt Verschwörung vorgeworfen.
Der Soziologe und Menschenrechtsaktivist Ott Syamsudin Ishak kritisiert die Festnahme von Mitarbeitern zivilgesellschaftlicher Organisationen und verweist darauf, dass dies eine Methode des Sicherheitsapparates sei, Untersuchungen von Übergriffen zu verhindern. Menschenrechtsgruppen würden gezielt ins Visier genommen.
Die Antiterrorgesetze erlauben dem Militär, das im Kriegsfall ohnehin unbegrenzte Vollmachten hat, mutmaßliche Terroristen und Separatisten für mehrere Monate ohne konkrete Beweise zu inhaftieren. „Dabei braucht das Militär die Antiterrorgesetze eigentlich gar nicht, weil die Armee längst wieder erstarkt ist“, sagt Sidney Jones von der International Crisis Group.
Eine Militärreform lasse nun schon seit zwei Jahren auf sich warten, kritisiert sie. Auch gebe zu denken, dass das Militär derzeit versuche, seine Macht per Gesetz weiter auszudehnen. So solle ein dem Parlament vorgelegter Entwurf den Streitkräften erlauben, den Notstand künftig selbst und damit ohne Votum der Präsidentin auszurufen. Bemerkungen wie die kürzlich von Australiens Außenminister Alexander Downer, ein Zerfall Indonesiens bedeute ein Sicherheitsrisiko für die gesamte Region, dürfte Jakartas Hardlinern gerade recht kommen.
Weil ausländische Organisationen angeblich mit der GAM sympathisieren, will Außenminister Hassan Wirajuda diese aus Aceh verbannen. Angesichts des Kriegsrechts weiß nicht einmal die Nationale Menschenrechtskommission, ob ihr das Militär erlaubt, Beobachter nach Aceh zu schicken. NICOLA GLASS