: „Rassistische Autorität“ ist keine Beleidigung
Das Amtsgericht Oldenburg hat eine Beleidigungsklage zurückgewiesen: Den Chef des Abschiebelagers Blankenburg als „rassistische Autorität“ und „Lagerleiter“ zu bezeichnen, ist von der Meinungsfreiheit gedeckt
Als „Lagerleiter“ und „rassistische Autorität“ darf der Leiter der „Zentralen Aufnahme- und Ausländerbehörde“ (ZAAB) in Oldenburg-Blankenburg, Christian Lüttgau, bezeichnet werden. Das entschied am Mittwoch das Amtsgericht Oldenburg. Damit wies der Richter den von der Staatsanwaltschaft erhobenen Vorwurf der Beleidigung zurück.
Ende Januar hatte der 24-jährige M. bei einer Diskussionsveranstaltung in Oldenburg Flugblätter verteilt, auf denen Lüttgau scharf angegriffen wurde. Er sei verantwortlich für Repressionen im Lager Blankenburg und wolle die freie Meinungsäußerung der Flüchtlinge unterbinden. Auf den Flyern ist ein Foto Lüttgaus abgedruckt. Daneben tauchen die Bezeichnungen auf, die zur Anklage führten.
Die Staatsanwaltschaft argumentierte, die Bezeichnung „Lagerleiter“ wecke Assoziationen zur Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus. Davon distanziert sich der Angeklagte: „Bei einem solchen Vergleich hätte ich den Flyer niemals verteilt.“ Auch das Gericht mochte sich der Sicht der Anklage nicht anschließen: Aus der begrifflichen Konstruktion „Lagerleiter“ ergäben sich keine unmittelbaren Parallelen zum Dritten Reich, so der Richter. Der Begriff „rassistische Autorität“ sei hingegen „höchst grenzwertig“. Der ZAAB-Chef könne sich durchaus in seiner Ehre verletzt fühlen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung sei in diesem Fall jedoch höher zu bewerten als die Persönlichkeitsrechte Lüttgaus. In seiner Position müsse er „pointierte Kritik“ ertragen. Auch das große öffentliche Interesse habe bei seiner Entscheidung eine Rolle gespielt, so der Richter.
Nach der Urteilsverkündung brach unter den knapp 80 BesucherInnen, die zur Unterstützung M.s ins Gericht gekommen waren, Jubel aus. Zuvor hatte der Richter sie mehrfach ermahnt. Seinen Unmut erregte insbesondere ein Protestlied, mit dem die Anwesenden das Plädoyer des Staatsanwalts unterbrachen.
In die Kritik geraten war Lüttgau wegen rigidem Umgang mit Flüchtlingen. Nach einer Protestwelle vor zwei Jahren berichteten Flüchtlinge über massive Einschüchterungsversuche. Zuletzt sorgte ein Amtshilfeersuchen Lüttgaus für Unmut. Darin wurde die Polizei angewiesen, Geldbörsen der Flüchtlinge zu kontrollieren und mutmaßlich unrechtmäßig erworbenes Geld zu konfiszieren. Ein derart rigides Vorgehen ist bundesweit einmalig (taz berichtete).
Diese Missstände als „Rassismus“ zu bezeichnen sei eine analytische Festellung, keine Beleidigung, so die Verteidigung. Der Freispruch ändere nichts am „institutionellen Rassismus“, dem die Flüchtlinge täglich ausgesetzt seien. Antirassistische Initiativen gehen davon aus, dass das niedersächsische Innenministerium gegen kritische Stimmen zur Flüchtlingspolitik auf juristische Mittel setzt. Vor zwei Jahren hatte es im Zusammenhang mit einer Protestaktion im Ausreiselager Bramsche-Hesepe, das auch Lüttgau untersteht, Ermittlungen gegen Aktivisten gegeben. STEVEN HEIMLICH