: Jesus war ein Freund der Frauen
von HEIDE OESTREICH
Am Anfang war das Wort. Besser gesagt: vier Buchstaben: JHWH. Hebräisch. „Ich werde da sein“, kann man das übersetzen. Die Ur-Beruhigungsformel für jedes Kind. Das ist das ursprünglich biblische Wort für Gott. Klingt ganz schön mütterlich.
Kein Wunder, dass Frauen sich immer schon in der Kirche sammelten: Gott hat zwar auch Karriere als autoritär-patriarchaler alter Sack gemacht, aber daneben hat er immer auch sehr nette Eigenschaften gehabt. Fürsorgend, zugewandt, liebend. Eigenschaften, die gerne Frauen zugeschrieben werden. Jesus etwa, der arme vaterlose Knabe, hat sich seinen anonymen Erzeuger in den schönsten Farben gemalt. Das hat ziemlich viele Leute überzeugt, Christen genannt. Als ihnen der Vaterdiskurs zu einseitig wurde, haben die Gemeinden sich um 500 nach Christus wieder eine weiblich-göttliche Figur dazu gedacht: Sie fingen an, Maria zu verehren.
In den Siebziger- und Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts wurde den Leuten die Kirche wieder mal zu patriarchal. Im weltlichen Bereich wurde der Pater familias für altmodisch erklärt, Frauen gewannen an Einfluss. Nur die Kirche blieb weiter männlich. Der Mann war der Hirte, die Frauen zählten zu den Schafen. Schafe, die freilich den Großteil der aktiven Gemeindearbeit schmissen.
Die „weiblichen“ Eigenschaften der Fürsorge blieben an die Damen an der Basis delegiert. Maria, die asexuelle, die Leidende, die Demütige, die Dienende, sollte ihr Vorbild sein. Lange ging das nicht gut in der Zeit des Aufbruchs der Frauen. Es gab wieder mal Zoff.
Theologinnen wie Dorothee Sölle und Uta Ranke-Heinemann klopften an den Dogmen der katholischen Kirche herum. Und siehe da, sie waren nicht ehern, sondern in 2000 Jahren Kirchengeschichte zusammengemauert worden. Nun bröckelte der Mörtel.
Die Mär von der Jungfrauengeburt Marias „beleidigt alle Mütter“, befand die Theologieprofessorin Ranke-Heinemann – und verlor prompt ihre Lehrerlaubnis. Ranke-Heinemann versuchte wie viele Christen in dieser Zeit, Gott etwas von seiner Grausamkeit zu nehmen: „Jesus wurde getötet, aber nicht von seinem Vater. Ermordet wurde Jesus von Menschen.“ Das war ihr Versuch, dem Männergott die „weibliche“ Güte zurückzugeben.
Franz Alt fand in Jesus den „neuen Mann“ wieder, der weibliche und männliche Anteile integriert habe. Die evangelische Theologin Dorothee Sölle, der erst gar kein Lehrstuhl angeboten wurde, sprach statt vom männlichen Gott von „diesem X im Herzen der Welt, dem sie Namen wie Allah, Urmutter, der Ewige, Nirwana, das Unerforschliche gegeben haben“.
Die Kirche reagierte auf den allgemeinen Politisierungsschub, der auch die Frauenfrage an sie herantrug: Die evangelische Kirche ließ Pfarrerinnen zu, die allerdings zunächst noch den Dienst quittieren mussten, sobald sie heirateten. Ohnehin beeilte man sich nicht: Im niedersächsischen Schaumburg-Lippe dürfen Pastorinnen erst seit 1990 auf die Kanzel.
Der katholischen Kirche war man dennoch weit voraus: Als die ersten evangelischen Pastorinnen 1958 ihren Dienst antraten, konnte sich auf katholischer Seite Papst Pius XII. gerade dazu durchringen, Frauen im Kirchenchor zuzulassen. Die einzige weitere Position in der katholischen Kirche, die Frauen danach noch „eroberten“, war die Ministrantin: 1983 ließ der Vatikan den Bischöfen einen geringen Spielraum beim generellen Mädchenverbot für Messdiener – akuter Mangel an Jungs, die bereit waren, Weihwasserkessel zu schwenken, war der Grund. Seitdem wird gemauert.
Das ist eigentlich verwunderlich. Immerhin hatte das Zweite Vatikanische Konzil (1962–65) die Gemeinschaft von Kirchenvolk und Kirchenleitung betont. Der Papst sollte die Ansichten des Volkes einholen und dann entscheiden, was das Volk mittragen könne.
Das Volk folgerte daraus, dass es mehr Mitspracherecht habe, der Papst allerdings nicht. Als oberste Rechtsherren der Kirche verfassten die folgenden Päpste munter Noten, Enzykliken, einen neuen Katechismus und einen neuen Rechtskodex, in denen selbstverständlicherweise von der „kindlichen Anhänglichkeit“ des Volkes zum Papst ausgegangen wurde – bis hin zu einem von Johannes Paul II. erfundenen Treueeid, den sämtliche Inhaber von Weiheämtern ihm zu schwören haben. Wer nicht hört, fliegt raus. Selbstverständlich galt das auch für die neun Theologinnen, die Gottes Ruf folgen wollten und sich im Sommer 2002 von einem nicht-römischen Bischof zu Priesterinnen weihen ließen. Sie wurden postwendend exkommuniziert.
Das alles hat die Frauen an der Basis nicht davon abgehalten, eine feministische Theologie ohne die Amtskirchen zu entwickeln. Katholische Theologinnen wurden halt Religionslehrerinnen, und ihre Reinterpretation von Bibel, Gesangsbüchern und Liturgien fand ohne römischen Segen statt. Die Ergebnisse feministischer Bibelforschung: Jesus, so es ihn denn gab, war ein Freund der Frauen, vielleicht sogar verheiratet. In jedem Fall berief er nicht nur Jünger und Apostel, sondern auch Apostelinnen, die Paulus sehr schätzte.
Aus einer Junia, die er in einem Römerbrief grüßen ließ, machten die Bibelschreiber ab etwa dem 7. Jahrhundert einen Junias. Gemeindevorsteherinnen und Diakoninnen habe es in den ersten Gemeinden selbstverständlich gegeben, fanden die Forscherinnen heraus. Aus einem einfachen Grund, den Paulus im Brief an die Galater beschreibt: „Ihr alle, die ihr auf Chistus getauft seid, habt Christus angelegt. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau. Ihr seid alle eins in Christus.“ Priester, Bischöfe oder gar Päpste waren in der radikalen Urkirche ohnehin nicht vorgesehen. Diese ganze Stellvertreterei hatte Jesus ja gerade abgeschafft. Man könne eine direkte Beziehung zu Gott haben, dem Abba, dem „Papa“, hatte er gemeint. So legt es etwa die katholische feministische Theologin Magdalena Bussmann aus. „Jesus brauchte keine Vermittler“, erklärt sie, „die Echtheit der Gottesbeziehung bestätigte sich darin, dass man sich voll auf den Glauben und die Nachfolge einlässt.“ In den frühchristlichen Minigemeinden wurde ohnehin jedeR für die Mission gebraucht.
In einem patriarchalen Umfeld und mit der beginnenden Institutionalisierung zog dann aber die Hierarchie wieder ein. Als der römische Kaiser Konstantin erkannte, dass das Christentum mit seiner unbedingten Nachfolgedisziplin sich hervorragend zur Stabilisierung seines gefährdeten Reiches eignete und es flugs zur Staatsreligion erhob, passte sich die Verfassung der Christen dem patriarchalischen römischen Staat an. Von der radikalen Gleichheit, der unmittelbaren Gottesbeziehung, dem Einschluss der Frauen blieb nichts. Die Leidenschaften inklusive Sex wurden sorgsam isoliert und abgespalten: als weiblich und sündig. Man suchte und fand Bibelstellen, die die Spaltung legitimierten.
Die feministischen Theologinnen gingen in den Sechzigern und Siebzigern den Weg andersherum. Hatte nicht Eva zuerst den Apfel …? So fragt streng die katholische Theologie. Das spielte aber etwa in der jüdischen Tradition nie eine Rolle, antwortet Magdalena Bussmann.
Nur die katholische Kirche funktionalisierte den Erstzugriff der Eva: Jetzt waren nicht mehr beide Menschen verführt worden, sondern Eva wurde für allein schuldig an der Erbsünde erklärt. Die Frauen gruben aus, dass eine Gottheit namens „Ich werde da sein“, die von sich öfter mal im Plural spricht, weil sie vielleicht eine Vielheit ist, aus einem geschlechtslosen Erdling („adamah“) „Mann und Frau“ schuf. Dem als authentisch geltenden Paulusbrief an die Galater mit der Gleichheitsbekundung von Mann und Frau sei von der Kirchenhierarchie der weniger gesicherte an die Römer vorgezogen worden: „Mulier tacet in ecclesia“ („Das Weib schweige in der Kirche“). Dann muss das Weib doch vorher dort geredet haben, schlossen die Forscherinnen.
Nun sei auch wieder aufgetaucht, was Jesus gerade abgeschafft hatte: „Je stärker Gott in der griechisch-römischen Terminologie ausgedrückt wurde, desto unnahbarer wurde er. Plötzlich brauchte man wieder Vermittler“, sagt Magdalena Bussmann. Der Priesterstand entwickelte sich – und der war männlich. In Zeiten, in denen Frauen ohnehin die „befleckten“ waren, die Trägerinnen der Sünde, die allmonatlich aus ihnen herausblutet, war es nicht schwer, dafür Gründe zu finden.
Das Zweite Vatikanische Konzil hatte diese Art von Archaik aber beendet. Dementsprechend schlicht ist die heutige Begründung des Papstes für den Ausschluss der Frauen. In seiner „Ordinatio Sacerdotalis“ von 1994 heißt es: Hätte Jesus Frauen als Priester gewollt, hätte er sie berufen.
„Gottes Plan“, so folgert Johannes Paul II., sei also, dass das Priesteramt den Männern vorbehalten ist. Jesus hat allerdings nie gesagt, dass nur Männer ihm nachfolgen sollen, so das Gegenargument der Theologinnen. Im Gegenteil: Ihm waren alle gleich. Wenn nun zufällig damals nur Männer zur Hand waren? Oder eben auch Frauen wie Junia unter den Aposteln waren, die die Bibel – und der Vatikan bis heute – verschweigt? Die Begründung des Papstes ist dünn. Wohl auch deshalb hat er die Frage für erledigt erklärt, de facto ein Diskussionsverbot verhängt. Und die Bischöfe schweigen mit.
Die große Wut der lila Generation ist mittlerweile Geschichte. Die heutige Theologinnengeneration arbeitet sich nicht mehr an patriarchalen Institutionen ab – die meisten haben die Frauen ohnehin geschleift. Junge Frauen müssen nicht mehr Maria uminterpretieren. Sie ringen nicht mehr um katholische Identifikationsfiguren, sie lassen sie schlicht rechts liegen und mit ihnen die katholische Kirchenhierarchie. „Die junge Frauengeneration ist für die katholische Kirche absolut verloren“, ist Bussmanns Überzeugung. Das sehe man an den katholischen Priesterinnen, die sich von einem nichtrömischen Bischof haben weihen lassen, weil sie sich berufen fühlen: „Alle über 50.“
Die Bischöfe haben das durchaus kommen sehen. Und sie haben kommen sehen, dass ihnen bei Zölibat und Männervorbehalt eines Tages der Nachwuchs ausgehen wird. Ob er nicht wenigsten das Amt des Diakons, einer Art Hilfspriester für Frauen öffnen könne, baten sie den Vatikan in einen Anfall von Mut der Verzweiflung.
Das war 1975.
Eine Antwort haben sie bis heute nicht bekommen.