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Archiv-Artikel

Eine Pendlerin zwischen Amt und ABM

taz-Serie „Auf Schröders Agenda“ (Teil 3): Elke Peucker, allein erziehend, ohne Abschluss, arbeitslos. Zuletzt leitete sie den Computerraum einer Schule. Aber es ist schwer, als ABM-Kraft Fuß zu fassen. Die Agenda 2010 wäre „ein Schlag“. Ihr Traum: überstundengeplagten Menschen Arbeit abnehmen

von RICHARD ROTHER

Elke Peucker drückt die No-Name-Zigarette in den Aschenbecher. „Ich bin gewohnt, mit wenig Geld auszukommen.“ Auch damit müsse man glücklich werden, sagt die 36-jährige Kreuzbergerin, allein erziehend, ohne Berufsabschluss, wieder einmal arbeitslos. Es klingt bescheiden, aber es wirkt auch ein wenig hilflos, wenn sich ihre sanften Augen in ihrer Küche umblicken: Lidl-Spülmittel hier, Penny-Milch dort. Neben der Küchentür steht eine Duschkabine, ein Beistellherd zeugt von der Existenz einer ungeliebten Ofenheizung, und durch die Einfachfenster dürfte im Winter eisiger Wind ziehen. Es ist ein Low-Level-Lebensstandard, der überall in der Wohnung zu ahnen ist – mitten in Berlin.

Die Armut zieht weitere Armut nach sich – soziale Armut: „In die Kneipe oder ins Kino zu gehen, kann ich mir kaum leisten“, sagt Peucker traurig. Hier werden Kontakte gepflegt, Bekanntschaften gemacht. Begegnungen mit anderen Menschen, die die Isolation durchbrechen könnten. Begegnungen, die Voraussetzungen sind zum Leben, zum Überleben: ein Tipp für eine neue Stelle, eine Kontaktadresse für eine Weiterbildung, ein aufmunterndes Wort. Peucker könnte es gebrauchen.

Mit 18 kam Peucker aus Bayern nach Westberlin, atmete den befreienden Duft der Achtzigerjahre. Sie machte ihr Abitur nach, ging mit 21 in die Niederlande – als Managerin und Tourplanerin einer Band, deren „psychodelische Popmusik“ damals ganz gut lief. Ihr Mann war einer der Musiker und der Vater ihres jetzt 10-jährigen Sohnes. Ein paar Jahre später merkte sie, dass die Niederlande nicht der richtige Ort für sie waren: „Ich gehör da nicht hin.“ Sie ging zurück nach Berlin. Allein. Mit einem dreijährigen Kind.

So begann das sanfte Abgleiten in die Armut. Peucker wollte studieren, aber irgendwie klappte es nicht. Die nötigen Papiere hatte sie in Holland vergessen, und als sie sich die Unterlagen nachschicken ließ, kamen sie nicht rechtzeitig an, um sich noch an der Uni einschreiben zu lassen, erzählt sie. In Berlin zurück, hatte sie nicht einmal eine Tasse und ein Messer.

Um zu etwas Geld zu kommen, arbeitete sie als Verkäuferin, auf 630-Mark-Basis. Nach einem halben Jahr begann sie eine einjährige Weiterbildung als Screen-Designerin. Die Chancen standen eigentlich nicht schlecht, Mitte der 90er-Jahre begann die Multi-Media-Branche zu boomen. Aber Peucker hatte ein Problem, einen Praktikumsplatz zu finden, den sie zeitlich schafft. „Von morgens bis nachts konnte ich nicht im Büro hocken, ich hatte ja ein Kind.“ Einmal habe ein Chef zu ihr gesagt: „Sie brauchen nicht zu versuchen, in eine Agentur zu kommen. Sie sind 30 und haben ein Kind.“

Ein Praktikum hat Peucker trotzdem gekriegt, bei einem Bekannten in einem Architekturbüro. Dort erstellte sie Internet-Seiten, war zufrieden. „Aber danach ist alles schief gegangen.“ Sie zog in eine stark renovierungsbedürftige Wohnung um, wollte gleichzeitig mit einer anderen Frau zusammen eine Web-Firma gründen. Die Folge der Überforderung: eine lange Krankheit.

Seitdem pendelt Peucker: zwischen Sozialamt und Arbeitsamt, von einer öffentlich geförderten Stelle zur nächsten. Eine typische Maßnahmekarriere heißt das im Arbeitsamtsjargon. Zuletzt leitete die Kreuzbergerin einen Computerraum in einer Neuköllner Grundschule. „So etwas mache ich sehr gerne, Landowsky sollte hier mal ein Praktikum machen.“ Ihre blauen Augen blitzen auf, wenn sie von der Arbeit mit den Neuköllner Kindern spricht. Die Kinder aus sozial schwierigen Verhältnissen können jede Unterstützung gebrauchen. Außerdem laufe es im Computerraum nicht so wie „bei den Medien, wo alle nur dem Geld hinterherrennen“.

Die kreative Arbeit mit Kindern könnte ein Rettungsanker, eine Zukunftsidee für Peucker sein. Könnte. „Mir fehlt eine Ausbildung.“ Alles hängt daran, denn eine wirkliche Chance, in diesem Bereich als ABMlerin Fuß zu fassen, sieht sie nicht. Wenn es überhaupt Stellen dafür gibt, werden sie mit Lehrern aus dem Personalüberhang besetzt – egal, wie geeignet sie sind.

Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe lehnt Peucker ab. „Ein Schlag wäre das.“ Weit gravierender als für sie seien die Pläne aber für Menschen, die recht gut verdienten. „Die machen die Leute fertig, die mal richtig Geld hatten. Die zerbrechen, wenn sie plötzlich auf Sozialhilfe kommen.“

Gegen die Regierungspläne demonstrieren wird Peucker aber nicht. Ihr machen Menschenmassen Angst, seit sie 1987 in die 1.-Mai-Randale in Kreuzberg geraten war. Dennoch findet sie, dass etwas schief läuft in der Gesellschaft. „Die einen machen Überstunden über Überstunden, und die anderen haben keinen Job.“ Die, die eine Stelle haben, überarbeiten sich, meint sie, weil sie Angst um den Job hätten. „Gerne würde ich ihnen etwas Arbeit abnehmen“, sagt sie, sich ein wenig zu einem Lachen zwingend. Sie glaubt nicht daran.

Woran das alles liegt? Vielleicht an den Leuten, die irgendwie zu verwöhnt sind, weil sie in gefliesten Bädern wohnen wollen? Vielleicht am Geld, das nicht fließt? Peucker fragt sich: „Wo bleibt das Geld? Das löst sich ja nicht in Luft auf.“

Eine klare Antwort weiß sie nicht. Sie weiß aber, dass sie sich eine Nische suchen muss und nicht aufgeben darf. Und dass ihr Sohn, in dessen Schülerladen sie jetzt ehrenamtlich mitarbeitet, Stabilität braucht. Ihn interessieren Geld und Zahlen, freut sich die Mutter. Spaß soll er haben, und ein schönes Leben, sagt sie. Es klingt fast wie: wenigstens er.