: Unterwegs im Unterbewussten
Die Videokünstlerin Monika Oechsler zeigt im Oldenburger Edith-Ruß-Haus die Arbeit „Am fernen und entferntesten Punkt“ und öffnet damit die Pforten der Wahrnehmung: Ein weitläufiges Areal von Gedankengängen tut sich auf und nach dem Ausstellungsbesuch staunt man über jeden klaren Gedanken
„Das Fernsehen ist die Realität, und die Realität ist weniger als das Fernsehen“, predigt Professor Brian O’Blivion in David Cronenbergs Medien-Horrorstreifen „Videodrome“, der das Übergreifen filmischer Fiktion auf den Alltag von TV-Konsumenten in schockierenden Bildern thematisierte. Das war 1983. Heute, rund zwei Jahrzehnte später, ist die Vermengung von Lebenswirklichkeit und medial erzeugtem Ereignis keine düstere Zukunftsvision mehr.
Längst ist die vorgespielte Realität ein fester Bestandteil unserer Wahrnehmung geworden. In Reality-Soaps werden Menschen dazu angehalten, sich selbst zu spielen, während der Rechner im Nebenzimmer wahlweise virtuelle Welten generiert oder per Webcam Zugang in die Privatsphäre verschafft. Am Ende schwirrt dem Rezipienten dann ordentlich der Kopf. Das kennt auch die Künstlerin Monika Oechsler. „Wenn ich nach Hause komme, stecke ich voller Geschichten und Eindrücke“, erklärt sie. Manchmal drängt sich dann regelrecht die Frage auf: „Wo bin ich selbst eigentlich?“
Dieses Gefühl der Desintegration reflektiert auch ihre Installation „Am fernen und entferntesten Punkt“, die jetzt im Oldenburger Edith-Ruß-Haus zu sehen ist. Das Klang- und Farb-Environment gibt keine Antworten auf die drängenden Fragen der Mediengesellschaft, ist keine Anklage der allgegenwärtigen Reizüberflutung. Vielmehr setzt Oechsler – wie auch in drei filmischen Arbeiten, die das Edith-Russ-Haus zeigt – alles daran, Gefühle zu provozieren: In ihrem Video „Strip“ zeigt sie Mädchen im Alter zwischen acht und vierzehn Jahren, wie sie in einem Schützenverein mit verbundenen Augen Pistolen auseinander- und zusammenbauen – was ein unleugbares Unwohlsein beim Betrachter auslöst. Und in der Arbeit „For The Very First Time“ lässt Oechsler junge Frauen an Blumen riechen und macht dabei den Blütenduft durch einen hyperrealen Ton und kräftige Farben sichtbar. Dies, obwohl die abgefilmten Tulpen nicht eben für olfaktorische Höchstleistungen berühmt sind.
So gesehen ist die speziell auf den Oldenburger Ausstellungsraum zugeschnittene Arbeit ein konsequenter nächster Schritt. Hier wird die Distanz, die im Falle der Clips zwischen Betrachter und Leinwand bestehen blieb, aufgehoben. Als Besucher tritt man ins Innere einer von außen nicht kalkulierbaren Konstruktion. Sobald sich die Tür geschlossen hat, ist man Teil des Werkes, beginnt, auf den Kunstraum reagierend, Gedanken und Gefühle zu generieren. Dass sich die nicht allzu weit von den Intentionen der Künstlerin entfernen, dafür sorgen nicht nur die eingespielten, sich gegenseitig überlagernden Sprach-Samples, sondern auch die farbliche und architektonische Ausgestaltung. Beispiel: Ein sich verengender Winkel, dessen schreiend rote Wände hervorragend mit dem brüllenden Motivationstrainer aus dem Off korrespondieren – ein aggressives Rendezvous der Sinne. HAL, der Computer aus Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“, bettelt hingegen in jener Ecke um sein Leben, in der Licht und Fläche von tiefem Schwarz verschlungen werden.
Der Versuch, diese Elemente zu einem großen Ganzen zusammenzufügen, führt allerdings unweigerlich in die Irre. Ansätze flackern auf, wie die Lichtblitze, die ab und an über dem Kunstwerk zucken. Mehr ist nicht drin: Es bleibt alles ungeordnet.
„Das ist der Punkt, in dem ich mich an psychotischen Zuständen orientiert habe“, erläutert Monika Oechsler ihre Absichten. „Nicht im medizinischen Sinne, sondern im Hinblick auf den Umstand, dass dem Gehirn die Kontrolle entgleitet. Stimmen, Licht und Farben sind dann nicht mehr auseinander zu sortieren, was zu einem Zustand der Desorientierung führt.“
Ganz so wild ist es für den Besucher des begehbaren Unterbewussten dann doch nicht. Wohl wird auch Cronenbergs „Videodrome“ zitiert, die bedrohliche Fleischwerdung der künstlichen Realität aber bleibt in Oechslers Erlebnisraum aus. Hier kann man sich in Ruhe bewegen und auf den erwünschten Verwirrungseffekts warten: die langsam einsetzende Vermischung von Gehörtem und Gedachtem, Innen und Außen, Privatem und öffentlich Zugänglichem.
Da tut sich ein weitläufiges Areal verzweigter Gedankengänge auf. Wohin sie führen, bleibt letztlich eine subjektive Entscheidung. Bis zur Tür des Edith-Ruß-Hauses? Bis zum „fernen und entferntesten Punkt“? Sicher ist nur eines: Wenn es in unseren Köpfen ähnlich drunter und drüber geht, wie in dieser Installation, dann ist jeder klare Gedanke ein kleines Wunder.
Christoph Kutzer
Monika Oechslers „Am fernen und entferntesten Punkt“ sowie die Videoarbeiten „Strip“, „For The Very First Time“ und „In the Shadow of the Dog“ sind noch bis zum 31. Mai im Edith-Ruß-Haus, Katharinenstraße 23, zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 14–17 Uhr, Samstag und Sonntag 11–17 Uhr. Künstlergespräch: 7. Mai, 20 Uhr.