: „Det kieken wa uns ma jenauer an“
Nives und Marc Konik
Sie ist 1971 in Heilbronn am Neckar geboren und kennt den Kreuzberger 1. Mai seit 1996. Er kam 1974 in Ostberlin zur Welt und hat Kreuzberger Mai-Erfahrungen seit der Wende. Weil die beiden sich nicht immer einig waren, wie die dortigen Ereignisse zu werten sind, haben sie letztes Jahr gemeinsam mit Freunden den Film „Berliner Maifestspiele“ darüber gedreht. In Eigenregie und mit wenig Geld. Wenn die beiden gerade keine Filme machen, malt er und sie studiert Vergleichende Literaturwissenschaft. Oder sie arbeitet als Dolmetscherin und Filmuntertitlerin. Auswanderungsberatung hat sie auch schon gemacht
INTERVIEW WALTRAUD SCHWAB
taz: Frau Konik, der 1. Mai in Kreuzberg – das ist mittlerweile ein echter Rausschmeißer. Sie haben trotzdem einen Film darüber gemacht. Warum?
Nives Konik: Ich kannte den 1. Mai nur aus den gängigen Medien. Das, was man außerhalb von Berlin davon eben mitbekommt. Als ich nach Berlin kam, hab ich mir das dann angeguckt. Dabei ist mir die riesige Diskrepanz aufgefallen zwischen dem, was ich erlebt habe, und dem, was ich dachte darüber zu wissen. Marc kannte sich besser aus.
Marc Konik: Ich bin Ostberliner. Ich hab den 1. Mai noch im Osten erlebt, auf der Karl-Marx-Allee mit den Nelken und so. Damals hat man in den Nachrichten gehört, was drüben los ist. Das hat man nicht verstanden. „Ach die armen Polizisten“, hat man gedacht. Völlig naiv.
Wie war es dann 1990 an Ihrem ersten 1. Mai in Kreuzberg?
Marc Konik: Als die Wende war, war ich jung. In der Phase, wo man das Elternhaus verlässt. Am 1. Mai hat sich das dann aufgeheizt nach dem Motto: „Det kieken wa uns ma jenauer an.“ So mit Mutprobe und so. Wir dachten: „Der Westen kooft uns uff, aber da sin welche, die da dajejen sin.“ Und dann Hausbesetzer, Mainzer Straße. Das ist tierisch explodiert hier im Osten. Der 1. Mai war ein Adrenalinstoß. Da war Action. Man war gegen was. „Da ist der böse Staat und die Polizei und da siehst du es, so reagieren sie.“ Mit den Jahren stellt man sich dann aber schon Fragen.
Welche?
Marc Konik: Inwieweit ist das alles so noch okay. Inwieweit betrifft mich das? Sind das meine eigenen persönlichen Probleme, die ich dort versuche zu verarbeiten?
Nives Konik: Mich hat eher dieses Gefühl von Freiraum interessiert. Viele verschiedene Leute, die auch nicht alle einer Meinung sind, nutzen an dem Tag gemeinsam diesen Freiraum.
Das verstehe ich nicht. Ist Freiraum eine 1.-Mai-Angelegenheit?
Marc Konik: Es geht um die Möglichkeit, sich den Raum zu nehmen und seine politische Meinung kundzutun.
Welche politische Meinung?
Marc Konik: Globalisierungskritik, Sozialabbau, Antifa, radikale Linke, Antirassismus. Mut zum Andersdenken. Nehmt die Dinge in die Hand. Bestimmt euer Leben selbst. Am 1. Mai ist man mit alldem kein Außenseiter.
Macht ihn das so originell, dass Sie einen Film darüber drehen wollten?
Nives Konik: Ich fand es wichtig, dieser anderen Seite des 1. Mai mit den Demonstrationen, Redebeiträgen, Feiern, dem In-der-Sonne-Sitzen, Miteinander-Sprechen, all dem, was den größten Teil des Tages in Kreuzberg ausmacht, aber am Ende nie publik gemacht wird, in den Medien eine Plattform zu geben.
Plädieren Sie in ihrem Film für einen Perspektivwechsel?
Nives Konik: Wenn Perspektivwechsel bedeutet, nicht nur die Krawalle in den Mittelpunkt zu stellen, dann ja. So haben wir das ja auch versucht.
Haben Sie deshalb verschiedene Blickwinkel im Film eingenommen?
Nives K: Wir haben fünf Kamerateams gehabt. Ein Team hat den ganzen Tag die Polizei begleitet. Eines folgte den Medien, vor allem den Fernsehcrews von ARD, ZDF, aber auch den Privatsendern bis hin zu Fernsehstationen aus Korea. Ein weiteres Team von uns war innerhalb der Demonstrationen, eines folgte den Demonstrationen von außen und ein drittes filmte immer wieder die gleichen Orte und was dort den ganzen Tag lang geschah.
Marc Konik: Den Heinrichplatz etwa. Wer ist da morgens? Kaum jemand. Mittags kommen ein paar Leute, gegen Nachmittag und Abend werden es immer mehr. Nachts sind es nur wenige, am nächsten Morgen ist alles wieder sauber.
Wie haben Sie die verschiedenen Stränge am Ende auf 80 Minuten zusammengeführt?
Nives Konik: Wir haben uns an das klassische Drama gehalten: Drei Akte, nach dem zweiten Akt kommt der Höhepunkt.
Der dann der Krawall ist?
Marc Konik: Oder die Tatsache, dass es trotz allem dazu kommt. Wir hatten letztes Jahr eine ganze Weile den Eindruck, es wird keine Krawalle geben. Viele Leute machten lange Gesichter, als doch noch Steine flogen. Wir haben versucht, drauf zu achten beim Film, dass die Verhältnisse stimmen. Es war ja nicht den ganzen Tag über Krawall.
Nives Konik: Wenn wir jetzt nur über die Krawalle reflektieren, kommen wir in denselben Rhyhtmus wie alle anderen auch.
Was ist die Alternative?
Marc Konik: Das Komische ist doch, dass es seit Jahren am 1. Mai nach dem gleichen Muster funktioniert. Normalerweise hätte es längst abflauen müssen. Nachdem die Häuserbesetzungen ihren Höhepunkt überschritten hatten, flaute es schon ab. Aber dann kam ein neuer Innensenator und rums ging es wieder los. Dann haben sich ganz andere Gruppen dort stark gefühlt.
Der Film vermittelt den Eindruck, dass die Fernsehberichterstattung zur Eskalation beiträgt.
Marc Konik: Einen Monat zuvor hatte der Irakkrieg begonnen. Da haben wir alle die Kriegsreporter in Bagdad gesehen. Mir kam das teilweise so vor, als hätten es die Journalisten ihnen in Kreuzberg gleichtun und auch mal so ’ne Kriegsberichterstattung liefern wollen.
Nives Konik: Wir haben die Rolle der Medien in den Mittelpunkt gestellt, weil wir der Meinung sind, dass das ein anderer Gesichtpunkt ist, unter dem man das Geschehen am 1. Mai betrachten kann. Es wird ganz klar davon ausgegangen, dass die Medien nur neutral berichten. Wir hatten aber das Gefühl, dass sie auch agieren.
In welcher Form?
Nives Konik: Indem sie den Fokus speziell auf die Krawalle richten und die Leute auch nur dazu befragen. Es gibt ganz wenig Berichte über das, was sonst an dem Tag geschieht. Oder es wird als nicht wirklich interessant und relevant wiedergegeben. Damit will ich nicht sagen: die Medien sind schuld, dass es Krawalle gibt. Aber das komplett rauszulassen, das ist auch nicht möglich unserer Meinung nach.
Ihren Informationen zufolge brach das Feuer da aus, wo der RBB filmte.
Marc Konik: Den Eindruck konnten wir nach Sichtung der über 40 Stunden eigenem Material und dem, was die Sender brachten, bekommen. Der RBB hatte an genau dem Punkt seine Kabel ausgerollt und Interviews geführt, an dem der Ärger losbrach. Zufall oder nicht?
Nives Konik: Auf dem Mariannenplatz wurden wir direkt von Jugendlichen gefragt, ob sie uns nachher mitteilen sollen, wo es abgeht. Sie wollen ins Fernsehen. Da kommen sie dann auch hin. Aber sie sind nicht der ganze 1. Mai. Wir zeigen den Zusammenhang zwischen der Rolle der Medien und Gewalt an einem vergleichsweise kleinen Konflikt.
Glauben Sie, dass Sie wegen der Medienkritik negative Reaktionen auf den Film bekommen werden?
Nives Konik: Uns wäre eine Auseinandersetzung über diesen Aspekt wichtig, egal ob kritisch oder zustimmend. Der Film spielt mit dem Nachdenken über unterschiedliche Sichtweisen. Wir haben es bewusst auch zugelassen, dass wir, die Filmemacher, ab und zu am Rande im Bild mit auftauchen. So zeigen wir, dass dieser Film nicht neutral ist. Wir sind nicht neutral. Wir sind aktiv. Wir sind auch Teilnehmer.
Wie gehen Sie damit um, dass Ihr Film die Behauptung der Szene widerlegt, dass die Polizei das Feuer an die Lunte legt?
Marc Konik: Hätten wir Aggressionen der Polizei gesehen und gefilmt, dann hätten wir das gezeigt. Ich meine, wir lassen ja auch den Polizisten zu Wort kommen, der sagt, wenn es losgeht, unterscheide er nicht mehr, dann träfe es schon die Richtigen.
Nives Konik: Wir versuchen, Widersprüche aufzuzeigen. Mehr nicht. Das Antikonfliktteam beispielsweise, das wird sofort rausgezogen, wenn es zu Krawall kommt. Wo die doch eigentlich in Konflikten vermitteln sollen.
Haben Sie selbst schlechte Erfahrungen gemacht mit Polizeiknüppeln?
Marc Konik: Hmm. Na ja.
Nives Konik: Es war eine Herausforderung, erst mal den Kopf freizukriegen und zuzuhören, was die Polizisten einem sagen wollen, und darauf einzugehen und dann diesen Perspektivwechsel den ganzen Tag mitzuerleben.
Meinen Sie, es war eine Herausforderung, dass Sie das trotz eigener schlechter Erfahrungen gemacht haben?
Nives Konik: Ja und den ganzen Tag bei der Polizei dabei zu sein und nicht jede Aussage sofort zu paraphrasieren, sondern stehen zu lassen, zu gucken, wie funktioniert das System, wie der Kontext, in dem die Aussage gemacht wird. Wirklich zuhören. Sich Zeit nehmen.
Diese Zurückhaltung gibt dem Film eine poetische Note. Ist das Absicht?
Nives Konik: Das Erzählerische ist gewünscht. Auch das Langsame. Es war für uns eine gestalterische Möglichkeit, den Tag als ein Kontinuum wiederzugeben, nicht als eine Explosion angestauter Spannung.
Hat die Idee, einen Film aus mehreren Perpektiven zu machen, etwas damit zu tun, dass Sie einen Migrantenhintergrund haben?
Nives Konik: Für Migrantenkinder ist es auf jeden Fall normaler, zwischen verschiedenen Kulturen und Sprachen hin und her zu switchen, als für Kinder mit homogenem Kulturhintergrund. Meine Eltern sind aus Kroatien. Ich bin in Heilbronn geboren und aufgewachsen. Mein erster Beruf war Reisekauffrau, da bin ich viel gereist und habe auch im Ausland gelebt.
Wie wirkt sich das aus, was Sie „switchen“ nennen?
Nives Konik: Mir fällt in Gesprächen auf, dass ich oft versuche, das Gesagte aus der anderen Position heraus zu sehen. Es wird einem dann schnell vorgeworfen, man hätte eigentlich keine eigene Meinung. Dabei geht es erst mal ums Verstehen. Dann kann ich ja immer noch dagegen sein oder meine eigene Überzeugung ausdrücken. Ich sage nicht, dass man mit einem Migrantenhintergrund immer ein kritischeres Bewusstsein hat. Es schult aber, mit anderen Denkweisen, die einem fremd erscheinen, vorsichtig umzugehen.
Und was machen Sie dieses Jahr am 1. Mai?
Nives Konik: Wir gehen hin.
„Berliner Maifestspiele“ wird am Dienstag, 6. 4., 19 Uhr und am Mittwoch, 7. 4. um 20 Uhr im Filmkunsthaus Babylon in Mitte gezeigt