: Im Bauch von Hamburg
Auf dem Großmarkt am Klostertor verkaufen die Bauern aus dem Hamburger Umland das Gemüse der Saison an den Händler um die Ecke. Jeweils ein Familienmitglied macht dafür die Nacht zum Tag
von GERNOT KNÖDLER
Jürgen Speck spuckt auf einen 50-Euro-Schein. Es ist das erste Geld, das der Gärtner aus Ochsenwerder einnimmt und muss Glück bringen für diesen Markttag, der eine Nacht ist. Speck sitzt hinter einem niedrigen olivgrünen Pult, sein Gemüse zur Linken, die Blumen zur Rechten. Über ihm spannen sich die turmhohen Betonbögen der Großmarkthalle. Sein erster Kunde, ein fülliger Mann levantinischen Typs, hat gerade fünf Kisten Fleißige Lieschen und Eisbegonien erstanden. Er hat kaum ein Wort gesagt. Speck knufft ihn zum Abschied gegen die Schulter.
Hier ist der Ort, wo die Leute schon vor zwölf Uhr Nachts „Moin“ sagen. Und „morgen“ bedeutet in der Nacht zu Freitag eben Samstag, also Wochenende, Silberstreif am Horizont für Jürgen Speck, Vorsitzender der Erzeugergemeinschaft Hamburg und derjenige aus seiner Familie, der sich in der Großmarkthalle am Klostertor die Nächte um die Ohren haut, um Blumen und Gemüse zu Geld zu machen.
Speck holt eine Tasse mit uralten Kaffeerändern aus dem Pult und eine Schachtel Zigaretten. „Das ist kein Spielkram“, sagt er, „da müssen fünf Leute von leben“. Der Gärtner hat Ware im Wert von einigen Tausend Euro auf der so genannten Erzeugerfläche im Großmarkt stehen. Wieviel genau, will er nicht sagen, weil das einen falschen Eindruck erwecken könnte. Zehn Paletten à 20 Kisten Blumen hat er ab 23.30 Uhr mit Hilfe einer hydraulischen Bordwand und eines Hubwagens von seinem LKW abgeladen. Dazu vielleicht halb soviele Kisten Gemüse. An der Wand stehen noch einmal sechs Paletten „Beet- und Balkonpflanzen“ vom Vortag.
Speck kappt die Schnüre, die die Stapel auf den Paletten zusammenhalten, und sortiert die Kisten um. „Ich muss jetzt ein bisschen Ausstellung machen“, sagt er, „falls einer längs kommt.“ Wie im Laden sorgt die Präsentation für den Kaufreiz. Die Einzelhändler, die ohne Hast aber konzentriert durch die Gänge spazieren, sollen die Qualität erkennen können, die ihnen aus den Vier- und Marschlanden, zwanzig Autominuten vom Großmarkt entfernt, geboten wird.
Die meisten Händler werfen allenfalls einen kurzen Blick auf die Ware, fragen häufig nicht nach dem Preis und sprechen kein Wort zu viel. Für Stammkunden, die stets beim selben Erzeuger kaufen, ist ein Großmarkt nicht der rechte Ort. Speck spricht von „fester Laufkundschaft“. Man kennt sich, pflegt einen rauen, ironischen Umgangston und einen staubtrockenen Humor.
Ein wohlgenährter junger Mann und eine alte Frau betrachten die prächtigen Kohlrabi, die Specks Mitarbeiter in Ochsenwerder eins links eins rechts in Kisten arrangiert haben. „Wat kost?“, fragt der junge Mann. „40 Euro“, sagt Speck. „35“, sagt der junge Mann. „O.k., weil Ihr wieder da seid.“
Während Speck mit dem Kugelschreiber einen kleinen Kassenzettel erstellt, drückt der junge Mann mit beiden Händen einen Salatkopf und kauft auch davon zwei Kisten. Seine Begleiterin nimmt ein Bündel Euro-Scheine aus ihrer breiten Geldbörse, entfernt das Gummiband und zählt den Betrag ab. Dass Eltern und Kinder gemeinsam Einkaufen gehen, scheint ein gängiges Muster zu sein.
Ein türkischer Händler mustert Specks Angebot mit einem eng beschriebenen grünen Zettel in der Hand. „Hast Du Brokkoli?“, fragt er. „Nächste Woche“, sagt Speck und hält seine Hand in Kniehöhe: „Der ist aber schon so hoch!“ Ein Gärtner aus Ochsenwerder kann nur anbieten, was die Jahreszeit hergibt. Dafür ist die Ware taufrisch. Sie wird in den Morgenstunden, wenn es noch kühl und feucht ist, geschnitten. Die Händler wissen das zu schätzen, die Verbraucher weniger.
Bitter beklagt sich Speck über die modernen Essgewohnheiten. „Die Leute sollten viel bewusster jahreszeitlich essen“, findet er. Im Winter kosten die Salatköpfe das Vierfache und die Kundschaft isst eingeflogenen Salat. Im Sommer muss Speck seine prächtigen Köpfe – knackig, rund, ohne Druckstellen – zu Schleuderpreisen abgeben.
Um 7.30 Uhr endet der Markt. Der Gärtner notiert sich, was übrig geblieben ist und gibt durch, was in welchen Mengen geerntet werden soll. Er stellt seine Kisten zusammen und bedeckt die Blumenkisten mit Sackleinen. Er frühstückt, lädt leere Kisten, kommt „selten vor zehn Uhr“ nach Hause und legt sich schlafen.
Gegen 16 Uhr steht er auf, um mit der Familie Kaffee zu trinken. Danach geht er aufs Feld, beliefert Kunden und fährt auch schon mal eine Fuhre zum Großmarkt. Nach der Tagesschau und dem anschließenden Abendbrot geht er zu Bett. Ein harter Rhythmus, weiß nicht nur Speck. Er zuckt die Schultern: „Was soll‘s.“ So ist das auf dem Land.