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: Der Strand ist ein Grab

„Tod in Gibraltar“ (1. Juni, 21.15 Uhr, 3sat)

Wäre es Tag, so könnte man über die Felsen von Gibraltar hinweg die Küste Marokkos erkennen. „Wird man dann wieder Tote finden?“, fragt sich Joaquín Franco von der spanischen Guardia Civil und fährt nachts im Geländewagen die Strandpromenade ab. Pause. Schnitt. „Ein so schöner Ort, der sich oft in das Gegenteil verwandelt“, sagt José Antonio Martín vom Roten Kreuz auf der gleichen Straße. Zwölf Leichen seien mal in einer Nacht angespült worden, Flüchtlinge aus Afrika, Pateras genannt. Ein Dutzend von mehr als 200 in nur einem Jahr. Pause. Schnitt.

Es sind Sequenzen wie diese, Mut zur Pause, einfach nur Menschen und ihre Berichte von einer grausamen Routine, die Joakim Demmers Dokumentarfilm „Tod in Gibraltar“ so beeindruckend machen. 60 Minuten lang zeichnet der schwedische Filmemacher ein düsteres Bild von der Festung Europa. Ohne Belehrung, ohne Einmischung in die Wirkung des Authentischen. „Joakim Demmer unternimmt einen riskanten Balanceakt, indem er der Versuchung widersteht, alles erklären zu wollen“, lautete Ende April die Begründung beim 9. Dokumentarfilmfestival „Visions du Réel“, den Film mit dem „Prix Suisse“ auszuzeichnen.

Kein Kommentar stört die Erzählungen der Beteiligten. Der Polizist, die Campingplatzbesitzerin, der Friedhofsangestellte, der Zeitungsredakteur, der Bestattungsunternehmer, der Rot-Kreuz-Mann – sie alle lässt er ungestört über eine Ausnahmesituation reden, die zum Alltag wurde. Wo am Tag Surfer übers Wasser jagen und Touristen sonnenbaden, sind Stunden zuvor nicht selten Menschen in großen Schlauchbooten auf ihrem Kontinent der Hoffnung gelandet. Tot oder lebendig.

Ohne verkrampfte Chronologie listet Demmer den Weg aus der afrikanischen Armut über die messerspitzen Felsen bis zur Beerdigung auf und endet mit der Überführung eines exhumierten Marokkaners durch seinen verzweifelten Bruder. Dazwischen der Abtransport Überlebender in die Transitstelle zur Rückverbringung. Pause. Schnitt. Viele werden es wieder versuchen. „Dieser Strand“, sagt die Frau vom Zeltplatz, „ist ein Grab.“ JAN FREITAG