: Erzwungenes Harmoniebedürfnis
Israels Premierminister Scharon gibt mit seiner Zustimmung zur „Roadmap“ dem rechten Lager Rätsel auf. Beobachter sehen darin ein Ergebnis des Drucks von US-Präsident Bush. Nur wenige glauben an einen Erfolg der Roadmap ohne äußeren Druck
aus Jerusalem SUSANNE KNAUL
Was ist nur los mit Ariel Scharon? Die Frage, ob Israels Premierminister womöglich einer Gehirnwäsche unterzogen wurde, beschäftigt seit Anfang der Woche vor allem das rechte Lager. „Die Idee, es sei möglich 3,5 Millionen Palästinenser weiter unter Besatzung zu halten – ja, es ist eine Besatzung“, hatte Scharon gesagt, „ist schlecht für Israel und für die Palästinenser.“ Solche Worte aus dem Munde des Vaters der jüdischen Siedlungen, des „Bulldozers“, sind für manche irritierend. „Hätte er doch nur auf (Expremier David) Ben-Gurion gehört“, meint der Schriftsteller A. B. Jehoschua. Denn der hatte schon 1967 festgestellt, dass es „unmöglich ist, über ein fremdes Volk zu herrschen“.
Gegen den Aufschrei der rechten Koalitionspartner, die von einem „historischen Verbrechen“ sprechen, erreicht „Scharon mit der Leichtigkeit eines Messers, das Butter schneidet, immer was er will“, schreibt Gideon Samet von der liberalen Tageszeitung Ha’aretz. Doch was, wenn er nicht mehr will? Nicht zum ersten Mal würde der umstrittene Premier das eine sagen und das andere tun. So ist es erst wenige Wochen her, dass er die Räumung namentlich genannter Siedlungen ankündigte, nur um kurz darauf diese Absicht zu widerrufen. Tatsache ist, schreibt Joel Markus in Ha’aretz, dass Scharons wahre Absichten „in dem Moment irrelevant werden, wo (US-Präsident Georg W.) Bush sich dazu entscheidet, die diplomatische Karte ins Spiel“ zu bringen. Der einzige Grund für Scharons Akzeptanz der Roadmap sei schlicht der, dass „er sich eine Konfrontation mit den Vereinigten Staaten nicht leisten kann“.
Ob Scharons erzwungenes Harmoniebedürfnis auch für die Umsetzung des Friedensplans ausreicht? Schon die 14 von Israel eingereichten Vorbehalte lassen Düsteres erahnen. So ist „eine Bedingung für die Fortsetzung“ der Implementation „die komplette Einstellung des Terrors, der Gewalt und Hetze“. Ein Anschlag, und der Prozess würde erneut eingefroren. Weitere Bedingung ist die Verpflichtung der Palästinenser, mit der Endstatusvereinbarung nicht nur den Konflikt zu beenden, sondern sämtliche Forderungen, allen voran das Rückkehrrecht der Flüchtlinge, fallenzulassen. Letzteres lehnte der palästinensische Premierminister Abu Masen (Machmud Abbas) bereits ab.
Umfragen der arabisch-jüdischen Website „Nahost-Netz“ zufolge, glauben nur 18 Prozent der Befragten, dass die Roadmap ohne konkrete internationale Maßnahmen umzusetzen ist. 9 Prozent halten Wirtschaftshilfe für das rechte Druckmittel, 74 Prozent sind für diplomatische oder wirtschaftliche Sanktionen sowie die Entsendung von Truppen in die Region.
Die Roadmap sieht nichts davon vor und unterscheidet sich insofern nicht von früheren Plänen wie dem Mitchell- oder Tenet-Plan. Wie ihre Vorgänger bleibt die Initiative über lange Strecken vage, lässt Raum für Interpretation und hat einen illusorischen Zeitplan. So sollte Israel bis Mai 2003 seine Trupppen zu den Stützpunkten vom September 2000 zurückgezogen sowie illegale „Siedlungsvorposten“ evakuiert haben. Die Palästinenser sollten Widerstandsgruppen entwaffnen, eine Verfassung formulieren und die Sicherheitsdienste neu strukturieren.
Was den Friedensplan von früheren indes unterscheidet, ist die breite Basis der Initiatoren, bestehend aus den USA, der EU, der UNO und Russland. Dabei fehlt arabische Beteiligung. Sie zu rekrutieren, wäre sinnvoll und noch immer denkbar, dennoch besteht auch so die Chance, deutliche Botschaften an die zerstrittenen Parteien im Nahen Osten zu schicken. Scharon selbst sprach während der Regierungsdebatte zur Roadmap die Wirtschaftsmisere an, um seine Minister zum „Ja“ zu bewegen. Mehr denn je ist Israel auf US-Kredite und -bürgschaften angewiesen. Wenn nötig, wäre zusätzlich ein EU-Handelsboykott denkbar. Israel ist nicht der Irak. Sanktionen würden bald Früchte tragen.
Umgekehrt müssen auch die Palästinenser wissen, dass mangelnde Kooperation Folgen hätte. Das Einfrieren der EU-Unterstützung für den Verwaltungs- und Sicherheitsapparat wäre nur allzu logisch, wenn die Beamten ihre Arbeit nicht tun. Maßnahmen, die aber die humanitäre Lage der Bevölkerung berücksichtigen müssten. Abu Masen signalisiert so weit guten Willen, wenn da nicht der „Rais“ wäre, Jassir Arafat, der seinem Premier noch immer Steine in den Weg legt. Ihn zu Zugeständnissen zu zwingen, hat schon bisher nicht geklappt. Den seit über einem Jahr in seinem Amtssitz verharrenden PLO-Chef scheint nichts mehr zu schrecken.