: Tanzen und schwanken
Schlange stehen bei McDonald‘s, verspritztes Blut auf Brixtons Straßen und viele schicke Zicken: Voll getankt mit Brandy präsentierte Mike Skinner alias The Streets im ColumbiaFritz sein neues Album und gab den laut pöbelnden Entertainer
VON HENNING KOBER
Er soll sich ordentlich durchgefeiert haben an diesem Wochenende. Der dreißigste Geburtstag eines Freundes, hört man. Jetzt am Sonntagabend noch ein Live-Auftritt, das ist hart. Das Equipment der Bühne entsprechend präpariert. Am Schlagzeug sind Flaschen, Wodka und Brandy, aufgehängt. Rückversicherung für Mike Skinner, denn noch schöner als auf der Bühne zu stehen, ist auf der Bühne zu schweben. Der inzwischen Fünfundzwanzigjährige begrüßt das Publikum, Mikro eng an den Mund gepresst, den Arm verwickelt in einen komplizierten Kampf: Jacke gegen Kopfhörerkabel. Die Rasierklinge um den Hals ist ersetzt durch ein silberne Kreuz, das über das graue „Vice“-T-Shirt schaukelt. An seinen Lippen ein brauner Plastikbecher, in dem kein Heißgetränk dampft.
„Geezer’s Need Excitement“ proklamiert Skinner entspannt routiniert und gewinnt. Die Arme folgen seinem Teufelsgruß. Man erinnert sich an Skinners letzten Berlin-Auftritt im Herbst 2002, das SO 36 damals eine eng dampfende Höhle, viele warme Momente mit dem großartigen Streets-Debüt „Original Pirate Material“. „Common Sense“ für die Anwesenden, allesamt Gewinner, denn Eintrittskarten waren nicht zu kaufen, sondern nur beim Veranstalter, dem Radiosender Fritz, zu gewinnen. Insofern der Titel des neuen, zweiten Albums von The Streets, zu dessen Präsentation geladen wurde, ironisch verdreht. Es heißt: „A Grand Don’t Come For Free“ und wird am 10. Mai weltweit gleichzeitig veröffentlicht. Die elf Songs darauf sind eine konsequente Fortschreibung der Welt des Mike Skinner.
Seine Geschichte erzählt vom Schlangestehen bei McDonald’s, verspritztem Blut auf Brixtons Straßen und schicken Zicken. Trotzdem wird es das Album schwer haben. Es ist komplizierter, klingt nicht so angenehm verschaukelt wie das erste, sondern zynischer und verspielter. Es reißt, bevor der Peak einsetzt, die Handbremse hart nach oben und schlittert dahin. Zwei Schritte nach vorn, einer zurück und dann doch drei nach vorne.
Mike Skinner steht da, eine Hand in der Hosentasche, kündigt „Fit But You Know It“ an, die nächste Single. Es ist der Song, der charakteristisch für das ganze Album ist. Mikes Stimme brettert mit Gitarren-Unterstützung dahin. Dann: „My Gosh!“ Dem Donnerwetter folgt die Vollbremsung. Und weiter, Vollgas. Anfahren, Bremsen. Spaß macht das. Noch mehr Spaß macht Skinner zusammen mit seinem Counterpart für die höhere Stimme, Kevin Mark Trail. Die Streets-Show lebt zum Großteil von der Dialektik dieser beiden Excitement-Junkies.
Skinner, der jetzt zwischen jedem Lied zum Schlagzeug schreitet und nachschenkt, fragt ins Publikum: „Do you want a drink“, wobei er im Verlauf des Abends immer mehr nach Butler James klingt, der sich zum persönlichen Amüsement von Miss Sophie zulaufen lässt, die gereichten Becher großzügig füllt und sich dann nachdrücklich absolute Stille ausbittet. Mit großen Augen und geöffnetem Mund staunt er die blanken Brustnippel eines Mädchens an, die als Bild über der Bar hängen. Skinner, bekennender Playstation- und Crack-Fan, gibt den betrunkenen, laut pöbelnden Entertainer, der deshalb so gut ist, weil er selbst am meisten Spaß hat.
Kevin Mark Trail dagegen flirtet schüchtern mit den Augen in der ersten Reihe. Öffnet fast verschämt sein Oberteil nur in kleines Stückchen, zeigt seinen schwarzen Bauchnabel und tanzt sich freudestrahlend die Hose weiter nach unten.
Doch während der ganzen Stunde Konzert, die zeitgleich von Radio Fritz live ins Sendegebiet gestrahlt wird, macht The Streets doch noch immer den besten Stich mit den alten Songs. „Weak Becomes Heros“ ist eine sichere Bank. Mike Skinner, inzwischen so zu, wie Robbie Williams in seinen besten Tagen, gibt den Tanzlehrer. So geht’s: Hand in die Po-Tasche, springen. Finger in den Himmel. Klappt gut. Nächster Tanz. Skinner macht vor: Steht da, schwankt, die Augen künstlich verdreht, ein Arm an den Körper geklebt, der andere rudert wild. Geht auch. Nächster: Dastehen, Kopf nicken. Problematisch. Bei „Too Much Brandy“ ist alles zu spät. Skinner murmelt leise: „Too much off all.“ Er gießt einen dicken Schwall Brandy auf den Boden. Das Publikum tanzt harten Pogo.