Der besondere Mitnahmeeffekt

Sparen trotz neuer Ticketpreise: Über die wirklich wichtigen Details der neuen Bus- und Bahntarife zu informieren, hat der VBB wohl verschwitzt. Macht nichts. Zwei Berliner holen das jetzt nach

VON ANDREA BREDDERMANN

„Jetzt bin ich aber ein bisschen irritiert.“ Verdutzt schaut die Oma zunächst auf Detlef, dann auf Richard. Ihr Blick stoppt, bleibt hängen – an den gelben Plakaten, die den beiden auf Brust und Rücken baumeln. „Ich nehme jemanden mit“, steht da fett gedruckt drauf. „Wie jetzt?“, fragt die Omi nach. Geduldig klären Detlef und Richard die alte Dame auf – über ein bisher eher unbekanntes, doch entscheidendes Detail der neuen VBB-Tarife.

Dass das Einzelticket nun günstiger werde, darüber habe die BVG ausschweifend informiert, ärgert sich Detlef Siegel. Das wirklich Wichtige aber scheine zwischen „Im Bus vorn einsteigen“ und „Nur noch in eine Richtung fahren“ irgendwie untergegangen zu sein.

Dabei ist die Botschaft, für die die beiden Berliner sich zur wandelnden Litfaßsäule machen, durchaus interessant: Besitzer der neuen Umweltkarte können seit dem 1. April in der Woche ab 20 Uhr und an den Wochenenden sowie an Feiertagen rund um die Uhr einen Erwachsenen und bis zu drei Kinder mitnehmen. Da staunen die meisten so viel wie die Omi. Mehr noch: Der Handzettel des Paares aus Weißensee verrät, dass diese Regelung ebenso für die alten Premiumkarten gilt. Für Detlef und Richard stand schnell fest: Da machen wir der BVG einen Strich durch die Rechnung – und bringen die wirklich interessanten Änderungen unters Volk. „Wenn die von der BVG so knallhart sind, dann nutzen wir eben alles aus.“ Gesagt, getan.

Es ist genau 20 Uhr. Die neuen Regeln gelten. Detlef und Richard starten ihre Aufklärungsaktion. Ausgerüstet mit Flugblättern, Armbinden und Plakaten – alles selbst gemacht, versteht sich –, sind sie der Hingucker an der U-Bahn-Station Kochstraße. Dort, wo es sonst alle eilig haben, verzögern sich die Schritte. Manche bleiben stehen, verrenken sich den Hals, um doch noch lesen zu können, was ihnen da offenbart wird. „Das mache ich ab jetzt auch“, versichert die Omi, bevor sie in die Bahn steigt. Detlef und Richard triumphieren. Genau so haben sie sich das vorgestellt: Fremde Menschen kommen ins Gespräch, neue Freundschaften werden dank BVG geknüpft.

Friede, Freude, Fahrgelegenheiten – der Wegfall des Sozialtickets im Januar und nun die neuen Tarife haben die Kreativität des Controllers und des freiberuflichen Übersetzers herausgefordert. „Man sitzt Zuhause auf dem Sofa, regt sich über die Sozialkürzungen auf und will am liebsten sofort loslegen“, erinnert sich Richard Gardner. Nur meckern, wo man doch als Einzelner etwas bewegen könnte, das ist den beiden zuwider. Motivieren wollen sie die Menschen, aufrufen, sich gegenseitig zu helfen. „Solidarität fängt schließlich bei jedem selbst an“, betont Detlef.

Moment mal. Wie war das noch? Fremde werden sich solidarisieren, vielleicht sogar verlieben – und das alles wegen der neuen BVG-Mitfahrgelegenheit. Ist das nicht ein bisschen viel Hoffnung? „Na klar, aber man kann nicht immer alles einfach so hinnehmen“, widerspricht Richard in der U 6. Er spricht laut. So laut, dass es die anderen Fahrgäste hören können. Ein besseres Miteinander in der Stadt, das will der aus North Carolina stammende Übersetzer nicht aufgeben. „Damit haben Sie aber Recht“, ruft ihm spontan eine junge Frau zu.

Szenenwechsel: 21 Uhr, U-Bahn-Station Friedrichstraße. Detlef und Richard werden immer öfter angesprochen – vom Anzugtyp mit roter Krawatte, von Ümit, dem das Sozialticket gestrichen wurde, von Lisa, die studiert. Sie alle fühlen sich bestätigt: Die „entscheidenden Änderungen im Produktsortiment“, wie es im nüchtern-lapidaren Jargon von BVG, S-Bahn und Deutscher Bahn heißt, müssen zumindest ausgereizt werden. Auch wenn das so manchem Kontrolleur gegen den Strich geht. „Die sind wegen solch spontan geschlossener Fahrgemeinschaften schon stinkig“, erzählt Detlef. Ruppig reagierten die und flüsterten schon mal in schönster Bösewichtmanier den pfiffigen Fahrgästen ein „Dich kriege ich ein anderes Mal“ ins Ohr, erzählt er weiter.

Detlef und Richard stören sich daran wenig. Ihr Ziel: ein Sticker, an dem sich Kartenbesitzer und Mitfahrer schnell erkennen (siehe Kasten). Tag für Tag, auf dem Weg zur Arbeit, werden sie weiter fragen: „Wussten Sie schon …?“