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„Mit Himbeersaft kann man nicht feiern“

Der Wiener Kulturwissenschaftler Robert Pfaller über das Verschwinden des schmutzigen Heiligen zugunsten der heiligen Vernunft: Einsichten in eine Gesellschaft, die auf Sex, Rauchen, Geld und Glück verzichtet – und sich auch noch verdammt gut dabei fühlt

INTERVIEW JAN FEDDERSEN UND MARTIN REICHERT

Das Gespräch mit Robert Pfaller findet in einem Wiener Stricherlokal in der Nähe des Naschmarkts statt. Die Wände sind mit Siebzigerjahre-Pornotapeten dekoriert. Zum Essen gibt es fettige Wiener Schnitzel und Tafelspitz, dazu einen „Gespritzten“. Weißweinschorle. Es darf, wie überall in Österreich, geraucht werden – alle Gesprächsteilnehmer machen von dieser Erlaubnis regen Gebrauch.

taz: Herr Pfaller, wir sitzen hier in einem Stricherlokal – also in Gesellschaft der Heiligen?

Robert Pfaller: Nein, aber grundsätzlich ist es natürlich so, dass zu den Praktiken des alltäglichen Heiligen auch die Sexualpraktiken gehören, und zwar insbesondere die, die nicht als völlig konform erlebt werden. Sexualität ist immer eine Überschreitung einer profanen Ordnung. Für langjährige Ehepaare ist das dann schon schwieriger.

Sie meinen, die haben dann keinen mehr?

Es gibt diese Klage, den Versuch, Sexualität reanimieren zu wollen oder zu sollen. Das ist inzwischen vor allem bei der jüngeren Generation epidemisch. Diesen jungen Postsexuellen, die dann sagen: Ja sie haben Kuschelbeziehungen mit ihren Partnern, mit denen sie zwei Jahre zusammen sind, aber Sex haben sie keinen, brauchen sie auch keinen.

Würden Sie sagen, dass der Feminismus ein zwar nötiger Generalangriff auf eine patriarchale Sexualordnung war – aber damit ja auch auf die Sexualordnung überhaupt?

Der Feminismus ist sicher eine der Befreiungsbewegungen, die am stärksten Gefahr läuft, bei der Bekämpfung des Feindes auch die ganze Beute zu bekämpfen. In allen politischen Kämpfen gibt es immer den Unterschied zwischen dem Feind und der Beute – und man muss sehr darauf achten, wenn man den Feind überwindet, doch die Beute zu bekommen.

Und nun ist die Beute beidseitig aus dem Visier geraten?

Ja, und daran ist nicht allein der Feminismus schuld. Alle Befreiungsbewegungen, die seit oder mit 68 aufgetreten sind, waren immer Selbstverwirklichungsbewegungen. Es wurde dabei spontan vorausgesetzt, dass man dann freier ist, wenn man ganz man selbst ist. Nur Dinge akzeptiert, die vollkommen mit dem eigenen Selbstbild in Übereinstimmung zu bringen sind. Die sexuelle Befreiungsbewegung ist da besonders paradox: Innerhalb von fünfundzwanzig Jahren schlug der Diskurs von der sexuellen Befreiung in den Diskurs der sexuellen Belästigung und des Missbrauchs um.

Wie erklären Sie sich das?

Die sexuelle Befreiung war ein Versuch, gegen soziale Regulierungen der Sexualität – bedingt vor allem durch die Vermögensordnung der Familien – den sexuellen Wunsch zur Durchsetzung zu bringen, eine antiinstitutionelle romantische Sexualität der Herzen. Kaum ist diese Befreiung erfolgt, merkt man aber, dass die Sexualität selbst eine Ordnung ist. Und die hat Regeln, da muss man bestimmte Dinge können wie beim Tanzen.

Man muss Anforderungen erfüllen, ästhetische zum Beispiel?

Ich glaube, gleichzeitig mit dieser Theorie der sexuellen Befreiungsbewegung verläuft eine Entwicklung in Bezug auf die gesellschaftlichen Einbildungen. So wie man ganz man selbst sein will, will man auch immer stärker eigene Einbildungen anderer bedienen. Sich elegant kleiden, denn das macht man nur für die anderen, es ist ein sozialer Zwang. Ich gehe so, wie ich vor dem Fernseher sitze, in eine Talkshow … das wird zunächst als befreiend empfunden.

Die Jeansträger in der ersten Opernreihe?

Genau. Und das findet man in allen Befreiungsbewegungen. Die Frauen wollten sich nicht für die Männer schön machen, und die Männer der Hippiegeneration wollten sich nicht für die alte Nazigeneration elegant machen. In Bezug auf die Schönheit hat das Ich-konforme nun längst das Übergewicht bekommen, die eigenen Einbildungen wiegen stärker. In den Siebzigerjahren kostümierte man sich noch, auch Männer schminkten sich, man trug Perücken und falsche Wimpern, man hatte Freude an Theatralik. Heute wollen die Leute plötzlich nicht mehr Theater spielen, sondern sie wollen ganz sie selbst sein.

Was hat dies zur Folge?

Der Körper wird plötzlich prekär – man geht also vom Theater der Kosmetik über zur bitteren Wahrheit der Chirurgie.

Körperdesign …

Man gibt aber nichts hinzu, steckt keine Wimpern an, sondern denkt: Vielleicht sind die Ohren zu abstehend, oder die Nase ist zu lang, und sie muss kürzer gemacht werden. Es ist nicht additiv, sondern subtraktiv, und psychoanalytisch gesehen macht sich da auch noch etwas bemerkbar, was Freud als die Logik des Über-Ichs bezeichnet hat: Es wird umso grausamer und strafender, je mehr wir ihm gehorchen. Es ist sehr bezeichnend, dass dann mit der Nase nicht Schluss ist.

Aber diese Versuche der Befreiung – waren die nicht auch ein notwendiger Prozess?

Es gab sicherlich Befreiungswünsche oder Notwendigkeiten, die völlig unbestreitbar sind. Wobei eben die Frage ist, ob man in Notwehr nicht oft zu den falschen Waffen greift.

Was wäre denn der richtige Weg gewesen? Frauen ist doch nichts geschenkt worden. Schwulen und Lesben auch nicht.

Natürlich niemandem. Wenn ich zurückdenke an meine Jugend, diese eher biedere, regressive Nachkriegskultur, die man auch in den Siebzigerjahren noch hier spüren konnte. Ein Großteil der schulischen Apparate oder Tanzschulen – da herrschte ja noch ein Klima wie in den Fünfzigern. Und natürlich, dann sagen die Individuen zu Recht, na ja, dann sind wir lieber mal wir.

Eben …

Aber mit den falschen Waffen. Die Tradition der Frankfurter Schule, die ja eine Philosophie der Ich-Konformität ist, des Kampfes gegen die Entfremdung, hat sich in der westlichen Linken durchgesetzt.

Und das finden Sie falsch?

Ich glaube, dass sie eine Schule des Beuteverzichts gewesen ist.

Das müssen Sie erklären.

Je mehr das Subjekt das Subjekt ist, desto besser ist es, und desto freier ist es … Unfreiheit ist Entfremdung … In dieser Wahrnehmung merken Menschen nicht, dass sie es sind, die die Geschichte machen. Sie erkennen sich in ihrem Produkt, der Geschichte, nicht wieder und glauben stattdessen, lauter Sachzwängen ausgesetzt zu sein.

Man besinnt sich allein auf das Ich?

Ja. Aber die Unfreiheit der Menschen rührt nicht daher, dass sie sich für zu wenig frei halten, so wie die Frankfurter Schule dachte, sondern die Unfreiheit der Menschen rührt immer daher, dass sie sich dort für frei halten, wo sie in Wahrheit unfrei sind.

Das Gefühl der Freiheit ist das eigentlich Trügerische?

Ja, und ich glaube, genau das passt zu den Bewegungen seit 68. Die sind alle getragen von einem Überschuss an Subjekterfahrung. „Jetzt verwirklichen wir uns selbst!“

Ist das so schlimm?

Dort, wo wir uns einbilden, ganz wir selbst zu sein, gehen wir da nicht vielleicht noch viel mehr in die Falle?

Apropos „Falle“: Sie vermissen auch den „Glamour des Verbrechens“ – und machen das an Serien wie „CSI New York“ fest.

Es sind zwei Elemente, die gerade in unserer Kultur verloren gehen. Einerseits die Eleganz des Verbrechers als Figur, also dass die Ganoven, eine Ehre, eine Haltung haben, die sich auch modisch äußert. Und zweites natürlich die Komplexität des Verbrechens: Man fängt die Person, die tatsächlich den Mord begangen hat, mit gerichtsmedizinischen, streng naturwissenschaftlichen Methoden. In den „CSI“-Serien ist nie die Motivation, der Hintergrund des Verbrechens, Thema.

Sie finden in einem Teppichflor einen bestimmten Staub, und es stellt sich raus, diesen gibt es nur in Nova Scotia, weil da ein kanadischer Tanker …

Genau. Und das war es dann.

Interessant, ja.

Als noch Filme wie „Der eiskalte Engel“ mit Alain Delon prägend waren, wäre das nicht möglich gewesen. Das hat ein Bewusstsein erzeugt, in dessen Folge Dinge denkbar wurden, die heute, glaube ich, weitgehend undenkbar sind und von einer gewissen Populärkultur auch systematisch ausgeschlossen werden.

Welches Bewusstsein meinen Sie?

Das Bewusstsein, dass Verbrechen in sehr komplexen sozialen Zusammenhängen stehen, wo die Schuldigen die letzten Glieder einer Kette sind. Dann ist es nicht so leicht, mit dem Finger auf den Schuldigen zu zeigen.

Und dieses Bewusstsein ist Ihrer Meinung nach verloren gegangen?

Serien wie „CSI“ leisten einer Vorstellung Vorschub, die sagt, das Verbrechen ist ein Schmutz, den man lesen kann, und zwar naturwissenschaftlich. Und den man beseitigen muss. Mit hygienischen Mitteln sozusagen. Die Akteure sagen Sätze wie „Das Blut lügt nicht“.

Wenn wir Sie richtig verstehen, steckt hinter dieser postmodernen Sichtweise die Sehnsucht nach Sauberkeit, nach Trennschärfe. Ist vor diesem Hintergrund womöglich auch die Hysterie ums Rauchen verstehbar?

Ja, unbedingt. Ich glaube, das Rauchen hat eine ganz ähnliche Entwicklung durchgemacht wie das Verbrechen.

Rauchen ist schmutzig?

Schmutz ist immer ein Symptom. Wenn etwas als Schmutz wahrgenommen wird, dann steckt da an dem Schmutz etwas, was verräterisch ist. Nämlich, dass es sich um etwas handelt, das nicht vollkommen Ich-konform ist. Etwas, womit man sich nicht auseinandersetzen möchte.

Was heißt das in Bezug auf das Rauchen?

In bestimmten festlichen oder zeremoniellen Momenten rauchen Leute zusammen. Etwa wenn es etwas zu feiern gibt, im Smoking womöglich … Dann tritt das Rauchen als Zeichen der Feierlichkeit auf, das der Abgrenzung vom profanen Alltag dient. Eine Überschreitung.

In Deutschland jetzt unter dem Heizpilz.

Unsere Kultur gebärdet sich ein bisschen wie „CSI“ in Bezug auf das Rauchen und sagt, wir haben unzweifelhaft mit wissenschaftlichen Methoden erkannt, dass das ungesund ist, die anderen haben es wahrscheinlich nicht gewusst, deswegen haben die geraucht. Wir wissen es jetzt und rauchen deswegen nicht mehr.

Was entsprechende Studien belegen.

Das ist aber eine völlige Verkennung, die man immer wieder antrifft in der Kultur. Das ist so, wie wenn man auf fremde Völker trifft, die Magie anwenden. Man sagt: Aha, die glauben wohl noch an die Magie, drum machen sie sie, wir glauben ja nicht an die Magie, drum machen wir keine. Völlig falsch, wie Ludwig Wittgenstein gezeigt hat in seinen Bemerkungen über die Wilden. Die, die Magie machen, glauben keineswegs an die Magie, sie sind sehr gut in der Lage, magische Praktiken von technischen Praktiken zu unterscheiden. Wittgenstein sagt zum Beispiel, derselbe Wilde, der Kultur macht, macht sicher kein Voodoo, wenn ein wirklicher Feind kommt, sondern greift zu Pfeil und Bogen.

Was hat das mit Rauchen zu tun?

Wenn das Auto nicht startet, sagen wir zum Auto: „Na komm schon!“ Da müsste uns mal ein Ethnologe aus Afrika beobachten und sagen: „Aha, das ist ja zutiefst animistisch.“

Oder wenn man gegen den Bankomaten klopft, wenn das nicht schnell genug geht. Was hat das nun mit dem Rauchen zu tun?

Die Prohibitionisten erliegen einer perspektivischen Illusion, indem sie dem Raucher sagen: Du bist ja so naiv und unwissend, du kannst dich sicher vollkommen zu Hause fühlen in deiner Welt. Wir sind herausgefallen aus der Naivität, wie sind aufgeklärt. Wir wissen, wir werden das nie wieder so bekommen, wie du das mal hattest.

Das bedeutet, sie sind traurig?

Da spielt auch immer ein bestimmter Neid eine Rolle in dieser Überlegenheit. Es geht hier um ein Genießen, das man sich selbst nie in einer ungespaltenen Form aneignen kann.

Weil es nicht „Ich-konform“ ist?

Das, was man selbst als Konflikt erleben würde, löst man, indem man den einen Teil des Konflikts dem anderen überträgt. Der muss das dann allegorisch ganz tragen, muss ganz Raucher sein oder ganz Magier, der völlig an die Magie glaubt. Und man selbst übernimmt die Rolle des Zweiflers …

desjenigen, der die reine Vernunft in sich trägt …

… das ist eben eine völlige Verkennung. Das bemerkt der amerikanische Schriftsteller Richard Klein sehr schön in in seinem Buch „Secrets are Sublime“. Er schreibt: „Wenn man nicht gewusst hätte, dass Zigaretten schädlich sind, hätte man sie nie geraucht.“ Es geht darum, profane Zusammenhänge zu unterbrechen. Um gezielte Überschreitungen. Und in diesen feierlichen Zusammenhängen werden die Dinge, die sonst Unlust erzeugen oder problematisch sind, zu Dingen des Triumphes. Das Feierabendbier ist großartig. Aber am nächsten Morgen verursacht es Ekel.

Und ein schlechtes Gewissen.

Genau. Wir sind eine Kultur extremen Ekels vor allem Möglichen. Wir ekeln uns vor unseren eigenen Ohren, vor der Nase, vor dem Rauchen des anderen, vor der Sexualität, wir sind alles andere als eine hedonistische Kultur. Das rührt genau daher, dass wir verlernt haben, mit Ausnahmeobjekten in der Kultur umzugehen, die für feierliche Momente bestimmt sind. Man kann mit Himbeersaft keine Maturafeier machen. Man braucht für eine solch feierliche Initiation etwas, was bis zu einem gewissen Grad schädlich ist, was nur Erwachsenen zugänglich ist.

Und nun ist das Lustvolle auf dem Rückzug?

Es verschwindet nicht ganz, wird aber marginalisiert, und ich glaube, man kann sagen, mache Dinge werden, so wie auch die Reichtümer, eher an bestimmte Ränder der Gesellschaft gespült. Die Reichtümer nur nach oben, aber der Sex ganz nach unten.

Das passt ja auch in den Zusammenhang der zunehmenden Segregation: Jedes Milieu ganz für sich, und Gott für uns alle.

Wobei das eben auch nur möglich ist, wenn die Leute das Gefühl haben, sich dabei zu befreien. Man kann bestimmte Machtverhältnisse nur aufrechterhalten, wenn man Individuen das Gefühl der Freiwilligkeit verschafft. Dann bejahen sie sogar starke Unterdrückung.

Das heißt, man schließt sich selbst von der Partizipation aus und fühlt sich noch gut dabei?

Genau. Und das Prinzip ist immer narzisstisch: Sei du selbst und tu das, was du ganz mit deinem Ich vereinbaren kannst. Deswegen gibt es so ein starkes Bedürfnis, eine eigene Identität zu haben. Und nach Partizipation: Es geht nur darum, beteiligt zu sein, nicht aber um die Wahrung der eigenen Interessen.

Dabei sein ist alles. Wenn es den Leuten doch Freude bereitet?

Unsere Gesellschaft gibt sich zwar hedonistisch, doch dem Individuum werden ständig Freiheitsverführungen verpasst, was sie dazu verleitet, auf ihr Glück zu verzichten. Man sagt dir: Du musst keinen Nine-to-five-Job machen, du kannst jetzt sogar von 0 bis 24 Uhr arbeiten, und du kannst dir das selbst einteilen, du kannst wahnsinnig kreativ sein, kriegst aber kein Geld.

Man hat dann ein „Projekt“ …

Ich finde, eigentlich gehört der Projektbegriff verboten. Die Frage „Haben Sie ein Projekt?“ ist doch eine Frechheit. Sie lautet eigentlich: Wollen Sie jetzt noch ein Jahr sicheres Einkommen haben? Und dann nicht mehr?

Da war er wieder, der Beuteverzicht. Und wir dachten immer, dass die Mittelschichten ganz gut darin sind, ihre Interessen durchzusetzen.

Die haben auch in hohem Maße aufgehört, sich um politische Angelegenheiten zu kümmern.

Worum kümmern sie sich?

Ums Essen.

Biologisch, qualitativ hochwertig …

Um Ernährung, ja. Es gibt auch bestimmte Politmythen, die das auch noch bestärken, dass man durch Konsumverhalten politische Prozesse steuern kann. Mag sein, aber dabei darf man es nicht bewenden lassen.

Ist es das, was vom Linkssein Ihrer Meinung nach übrig geblieben ist?

Wir sprechen hier über die Verwaltungsetage der Weltfabrik, das sind sowieso absolut privilegierte Gruppen und Klassen. Es ist bezeichnend, dass diese Leute ihren Rückzug ins Private noch mal mit einer politischen Erklärung rechtfertigen.

Wieder ein schlechtes Gewissen.

Die Engagements radikalisieren sich in der Vehemenz und miniaturisieren sich in der Sache. Dann ist der Kampf für das eigene Ich nur noch der Kampf gegen die Zigarette des anderen.

Dreht sich dieser Zeitgeist auch wieder?

Es wird immer mehr Menschen geben, die sich fragen, in welcher Welt wir hier eigentlich leben. Das fängt mit den Beuteanteilen an, die wir mit dem Gefühl der Befreiung anderen überlassen haben. Manchmal dämmert es uns ja vielleicht doch, wenn wir Leute im TV-Container beim Sex beobachten. Dass wir das vielleicht auch gerne gehabt hätten, dass das nicht nur in den Zoo verlagert werden darf. Der Neid ist immer auch ein Symptom, eine Verschärfung einer Situation, die nicht dauerhaft aufrechterhalten werden kann.

Mit der Zeit nervt die Asepsis der Welt?

Hier nicht rauchen, dort nicht trinken, keine bösen Worte im Fernsehen. Je wütender die Menschen werden angesichts der großen Probleme, umso weniger werden sie irgendwann dulden, dass die Politik ihre Sorgen auf so kleine Probleme ablenkt. Wenn die Banken krachen, haben die Leute auch genug von so einer Politik.

Tja ja …

Die Politiker, die jetzt diese kleine, saubere Welt herstellen, haben alle in der Schule Orwells „1984“ oder Huxleys „Brave New World“ gelesen und haben sich über diese totalitäre, faschistoide Welt entsetzt. Und stellen genau so eine Welt her.

Wollen Sie uns so trostlos entlassen? Das ist doch nicht in Freuds Sinne. Oder doch?

Freud hatte wenig Trost parat, er sagte, die Psychoanalyse kann neurotisches Elend nur in normales menschliches Elend transformieren.

JAN FEDDERSEN, Jahrgang 1957, und MARTIN REICHERT, Jahrgang 1973, sind taz.mag-Redakteure ROBERT PFALLER, Jahrgang 1962, lehrt als Professor für Philosophie und Kulturwissenschaft an der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz sowie an der TU Wien. Sein Buch „Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft“ erscheint im Fischer-Taschenbuch Verlag und kostet 12,95 Euro

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